Auswege aus gesundheitlichen Problemen nach 150 Jahren Rassenreinzucht
Für die Gesundheit unserer Hunde stellte die Begründung systematisch organisierter Zucht reiner Rassen vor einhundertfünfzig Jahren einen Wendepunkt dar. Nicht nur klinische und pathologische, sondern zunehmend auch genetische Befunde weisen auf teils höchst bedenkliche Entwicklungen hin. Während einige Folgen mancher ungesunder Zuchtziele bereits öffentlich diskutiert werden (Möpse, Frenchies und Co.), scheint sich die starke genetische Verarmung vieler Rassen als ein viel größeres Problem herauszustellen. Die beiden Krisenfelder kollidieren bis zur Aussichtslosigkeit, wenn ein „Gesundzüchten“, also eine züchterische Korrektur vieler Defekte, aufgrund der genetischen Verarmungen vielfach nicht mehr möglich ist. Auch scheinen die Interessen und Bedürfnisse einiger Hundehalterinnen und -halter und mancher Rassefans nicht in Einklang zu bringen zu sein mit nachhaltigem Tierwohl.
Neue Forschungsergebnisse legen nicht nur die Hintergründe offen, sondern ermöglichen auch die Gestaltung von Auswegen. Diese werden im Vortrag systematisch auf ihre Potenziale und Praktikabilität hinterfragt. Große Bedeutung wird Gentests und kompletten Erbgutanalysen bei korrigierenden Eingriffen in die Zuchtauswahl zukommen. Daneben werden Kreuzungszuchten für viele Rassen unausweichlich. Parallel entwickeln sich aktuell Möglichkeiten durch gentechnische Erbgutkorrekturen. Sogar das Klonen, das in Teilen der Welt bei Hunden und Katzen längst Routine ist, kann punktuell eine wichtige Rolle spielen.
Den tiermedizinisch und gesellschaftlich hoch relevanten Herausforderungen stehen damit mehr als genug technologische Auswege gegenüber. Dafür wird es nicht den einen Lösungsweg für alle Probleme geben. Vielmehr gilt es, nach scharfer Problemanalyse, Definition der erhaltenswürdigen Werte und tierethischer Abwägung den jeweils passenden Ausweg zu finden. Dabei werden wir manche Aspekte unserer traditionellen Zuchtpraxis reiner Rassen überdenken müssen.
120 Minuten inkl. 10 Minuten Pause | Live-Chat mit dem Dozenten
Prof. Dr. Achim Gruber
Prof. Dr. Achim Gruber ist Tierarzt, Tierpathologe, geschäftsführender Direktor des Instituts für Tierpathologie an der Freien Universität Berlin und Bestsellerautor. Für seine Arbeit wurde er zuletzt mit dem Förderpreis der Akademie für Tiergesundheit für herausragende Arbeiten auf dem Gebiet der molekularen Pathologie ausgezeichnet. Neben zahlreichen wissenschaftlichen Veröffentlichungen erlangte er auch durch sein erstes Sachbuch, "Das Kuscheltierdrama: Ein Tierpathologe über das stille Leiden der Haustiere" (2021) viel Aufmerksamkeit. Nun folgt 2023 "Geschundene Gefährten: Über Irrwege in der Rassezucht und unsere Verantwortung für Hund und Katze". Droemer-Verlag, 288 Seiten, 21,- €