Qualzuchten: Beratung vor der Anschaffung (1)
Interview mit Ines Neuhof
Ob in der Hundeschule oder im Betreuungskontext: Wer mit Hunden arbeitet und Menschen berät, kann einen immensen Beitrag zu der Aufklärung über das Thema Qualzucht leisten. Viele Menschen verlieren ihr Herz an Hunde, die Qualzuchtmerkmale tragen. Gerade Ersthundehalter*innen wissen oft wenig über die Probleme, die eine gewünschte Rasse haben kann.
„Als Qualzucht bezeichnet man bei der Züchtung von Tieren die Duldung oder Förderung von Merkmalen, die mit Schmerzen, Leiden, Schäden oder Verhaltensstörungen für die Tiere verbunden sind.“ (Wikipedia „Qualzucht“, abgerufen am 12.2.2022)
Auch wenn brachyzephale, also kurzschnäuzige, Hunderassen derzeit im Fokus stehen, gibt es eine ganze Reihe weiterer Merkmale, die für den Hund zur Qual werden können. Die Hunde wirken dadurch vielleicht „besonders“ oder „besonders liebenswert“ und finden immer wieder begeisterte Interessent*innen. Als Hundetrainer*innen arbeiten wir mit diesen Halter*innen, haben im Sinne des Tierschutzes oder vielleicht auch aus einem persönlichen Wunsch heraus eine Verantwortung, über gesundheitliche Einschränkungen und mögliches Leid aufzuklären.
Wie berät man, wie schützt man Mensch und Tier vor noch mehr Leid, wenn sich so ein Interesse abzeichnet? Das ist nicht immer ganz einfach, weil Menschen dazu neigen, eher Informationen zu akzeptieren, die die eigene Haltung bestätigen: Es fällt uns schwer, auf Stimmen zu hören, die wir nicht hören möchten, weil sie uns, unsere Weltsicht oder unsere Entscheidungen in Frage stellen. Da nehmen wir uns alle nichts. Verstärkt wird das Problem dadurch, dass wir als Hundetrainer*innen in einem Kontext beraten, der Qualzuchten nicht einstimmig problematisiert: Medien stellen sie unter Umständen positiv da, unseriöse Züchter*innen spielen gesundheitliche Probleme herunter, Rassebeschreibungen sind oft zu unkritisch. Das kann die eigenen Argumente schwächen.
Gibt es also Möglichkeiten, Hundehalter*innen hier respektvoll und im Rahmen unseres Auftrages zu beraten, auf eine Art und Weise, die tatsächlich gehört wird? Dazu haben wir mit zwei Hundetrainerinnen gesprochen, die es wissen müssen: unserer Dozentin und Diplom-Psychologin Ines Neuhof und unserer pädagogischen Leitung, Erziehungswissenschaftlerin Karen Körtge. Den Anfang macht Ines Neuhof. Teil zwei mit Karen folgt in den kommenden Tagen.
KynoLogisch: Wie kommt es dazu, dass Menschen Qualzuchten kaufen?
Ines Neuhof: Natürlich lässt sich beobachten, dass Menschen durchaus überlegt an die Hundeauswahl herangehen und auch ein großer Beratungswunsch von Seiten der zukünftigen Hundehalter besteht. Manchmal finden Interessent*innen auch einfach nicht die sinnvolle Quelle, um sich ein vernünftiges Bild machen zu können. Hier und heute geht es jedoch um Personen, die entweder spontan, unüberlegt oder emotional Interessen verfolgen, wobei einzelne Faktoren in Kombination auftreten können.
Zum Beispiel war ein massiver Anstieg der Nachfrage nach bestimmten Rassen in Folge von Kinofilmen oder Serien zu beobachten. In den 1980er Jahren boomten Langhaar-Collies nach dem Erscheinen von „Lassie“, der Cocker Spaniel sogar wiederkehrend nach der mehrmaligen Ausstrahlung von „Susie und Strolch“ und zuletzt vermutlich Wolfhunde und Huskies nach dem Erscheinen der Serie „Game of Thrones“. Es entsteht eine Mode, basierend auf Emotionen, die von fiktiven Geschichten erzeugt wurden. Wichtig für den Verkauf von „Modehunden“ ist in der Regel vor allem der optische Wiedererkennungswert und nicht das Wesen des individuellen Hundes.
Besondere Farbschläge werden hier bei mir im Tierheim ebenfalls vermehrt nachgefragt. Der vielleicht unkompliziertere, aber optisch „langweiligere“ schwarze Hund wartet länger auf sein neues Zuhause als sein blauer, lilac- (dilutefarben) oder merlefarbener Rasseverwandter mit Hautproblemen, für den es viele Nachfragen gibt.
Ein wichtiger Punkt, der nicht zu vernachlässigen ist: Bei allem guten Willen haben wir nicht immer die Chance zu beraten. Der Hundekauf ist auch eine stark emotional gefärbte Entscheidung. Immer wieder gibt es schlichtweg keinen Beratungswunsch und Beratungsversuche werden dann sogar eher als lästig empfunden.
KynoLogisch: Kann man etwas tun, damit eine Beratung auf möglichst offene Ohren trifft?
Ines Neuhof: Immer dann, wenn wir beraten, ohne zu fragen, ob die Beratung überhaupt erwünscht ist, besteht das Risiko, dass Leute abblocken. In der Psychologie spricht man von „Beratung ohne Auftrag“. Man kann das ganz einfach umgehen, indem man den Gesprächspartner fragt, ob man beraten darf. Das kann sinngemäß so lauten: „Der Hund, den Sie sich anschaffen wollen, weist Merkmale von Qualzucht auf. Ist es ok für Sie, wenn ich dazu ein paar Worte sage, was das für Sie und ihn in der Haltung bedeuten kann?“ Wenn ich das OK bekomme, kann ich mit größerer Wahrscheinlichkeit so beraten, dass ich die Person erreiche. Wenn nicht, muss ich zumindest mit Widerständen rechnen. Wir werden nicht alle Menschen davon abhalten können, Hunde mit Qualzuchtmerkmalen zu kaufen, dessen müssen wir uns bewusst sein – aber ein Versuch ist immer sinnvoll.
KynoLogisch: Was macht die Beratung rund um Qualzuchten so besonders schwierig?
Ines Neuhof: Wir beraten mit rationalen Argumenten wie Gesundheitszustand, Kosten und Vernunft gegen emotionale Wünsche und Entscheidungen an. Wenn man ein Auto anschaffen möchte, dann wäre in vielen Fällen ein Kleinstwagen mit niedrigem Benzinverbrauch oder Elektroantrieb die rationale Entscheidung. Man kommt auch von A nach B, die Kosten sind niedriger, die Umwelt wird geschont.
Dennoch verkaufen sich SUVs auch mitten in der Stadt extrem gut, einfach weil Emotionen eine entscheidende Rolle beim Kauf spielen. Bei brachycephalen Hunden kommt beispielsweise das sogenannte „Kindchenschema“ zum Tragen: Wir wollen uns um ein Lebewesen kümmern, das einem Baby ähnelt. Dieses Bedürfnis wird als „Caregiving Behaviour“ bezeichnet, das eine starke evolutionäre Komponente hat. Und dagegen wollen wir mit Ratio, also Vernunft, vorgehen! Das ist wirklich schwierig. Dennoch ist die rationale Aufklärung sehr wichtig, selbst dann, wenn sie nicht sofort angenommen wird oder werden kann.
KynoLogisch: Ich habe das OK für eine Beratung bekommen – wie gehe ich am besten vor?
Ines Neuhof: Findet im Vorfeld Beratung statt, beispielsweise als Anschaffungsberatung oder Rasseberatung, kann man als Beratende*r positiv starten und das aktive Einholen von Informationen lobend erwähnen und ehrlich (!) würdigen.
Aufklärung ist und bleibt wichtig. Es gibt inzwischen im Internet schon sehr anschauliche bildliche Darstellungen und gute Artikel zu diesen Themen. Ich denke da an die Vergleichsröntgenbilder oder an die Darstellungen von Bulldoggen, die mit Tubus endlich atmen können. Letztendlich können wir aber auch mit rationalen Argumenten geeignete Bilder im Kopf erzeugen: Folgekosten beim Tierarzt durch Leiden, die auf einen zukommen. Nicht jedes Qualzucht-Merkmal ist sofort beeinträchtigend, einige treten erst nach einigen Jahren auf oder verschlechtern sich so, dass man handeln muss. Einschränkungen in der Freizeit, der quality time, können auch ein gutes Argument sein, wenn man nämlich dort für die nächsten Jahre sorgenvoll und ohne nennenswerte Erfolge mit den Behinderungen und Beeinträchtigungen des Hundes umgehen muss. Erfahrungsberichte dazu findet man inzwischen auch einige im Internet.
KynoLogisch: Fragen können in der Beratung bei der Reflexion helfen – gibt es Stellschrauben?
Ines Neuhof: Fragen sollten bestenfalls mit dem Buchstaben „W“ anfangen, also „Welche…“, „Wie…“ oder „Was…“ zum Beispiel. Damit vermeidet man Suggestivfragen, die leicht daran erkennbar sind, dass sie sich mit „ja“ oder „nein“ beantworten lassen. Nehmen wir mal eine sehr ungünstige, meinungstransportierende Suggestivfrage, die Menschen verärgern wird und dazu führen, dass sie sich verschließen und nicht mehr offen zuhören können: „Dieser Hund bekommt wegen seiner fehlenden Schnauze kaum Luft. Sie möchten doch auch im Sommer mit Ihrem Hund an den See gehen können, oder?“. Hier kann es uns ganz schnell passieren, dass die Antwort lautet: „Ja, aber wenn es zu heiß ist, gehe ich auch nicht gerne raus!“. Wir als Beratende begeben uns mit Suggestivfragen in eine Konfliktsituation: Es kommt ein „Ja, aber“, was dann unter Umständen nicht schnell und einfach zu entkräften ist. Besser wäre es zu fragen: „Welche Formen der Beschäftigung planen Sie denn mit dem Junghund im Sommer?“ oder „Wie beschäftigen Sie den Hund in den Sommermonaten?“ Die Antwort mit einbeziehend kann man dann auf die Problematiken der verschiedenen Qualzuchtmerkmale eingehen – in diesem Fall die Einschränkungen durch die fehlende Thermoregulationsmöglichkeit eines kurzschnäuzigen Hundes.
KynoLogisch: Was tun, wenn das Argument kommt, dass der Hund ja schon da ist und einen Lebensplatz benötigt?
Ines Neuhof: Fragt man Menschen, ob sie gerne einen gesunden Hund haben, dann lautet die bewusste Antwort in aller Regel „ja“. Unbewusst ist es allerdings manchmal so, dass ein gesundheitlich eingeschränkter Hund ein Gefühl von „gebraucht werden“ auslöst. Aus eben solchen Gründen, den emotionalen und unbewussten, zieht das Gesundheitsargument nicht immer sofort, obwohl es so offensichtlich erscheint.
Man sollte sich darauf vorbereiten, dass es auch einen großen Bereich von Wahrnehmungsverzerrungen, beispielsweise „Wenn ich ihn nicht nehme, nimmt ihn jemand anderes – der Hund ist ja da“, gibt. In solchen Fällen kann man vielleicht nicht mit einer direkten Einsicht rechnen, aber mit einer Beratung zur Qualzuchtproblematik kann man den Anstoß geben, die momentane Wahl noch einmal zu überdenken. Und man muss dann vielleicht auch verdeutlichen, dass genau diese marktwirtschaftliche Bedarfserzeugung das ist, was der Rasse letztendlich schadet: Wenn die Hunde immer wieder Besitzer*innen finden, werden auch neue produziert. Erst wenn Produzent*innen auf ihren Tieren sitzenbleiben, kann ein regulierender Mechanismus greifen. Da sind wir wieder bei der Vernunft – aber die ist eben das fairste und wichtigste Hilfsmittel, das wir als Beratende zur Hand haben.
Generell wird eine Beratung allein das Problem nicht lösen. Die Beratung ist aber ein wichtiges Puzzlestück im Gesamtkonstrukt.
Also ganz konkret:
- Ok für die Beratung zur Qualzucht einholen
- Offene Fragen stellen und Szenarien im Kopf entstehen lassen (Wanderung fällt im Sommer aus, weil der Hund keine Luft bekommt)
- Wenn Gesundheitsargument nicht gehört wird, dann ohne Vorwurf darlegen, welche Folgen die Anschaffung finanziell oder emotional für die Halter*innen haben kann
- Akzeptieren und respektieren, wenn die beratene Person bei ihrer Meinung bleibt (Thema Abgrenzung und Wertschätzung!)
Das Gespräch ist Teil einer zweiteiligen Interviewreihe zu Beratung von Menschen, die sich für einen Hund einer Qualzuchtrasse interessieren. Teil 2 mit Karen Körtge findet ihr hier. Alle Artikel zum Thema Qualzucht gibt es hier.