Wie geht Vielfalt im Hundetraining?
Was bedeutet eigentlich Diversität für die eigene Dienstleistung? Können wirklich alle, die Hundetraining wollen, es ohne Probleme in Anspruch nehmen?
Das KynoLogisch Vielfaltsjahr 2022
Ist von Vielfalt im Hundetraining die Rede, dann ist meist die gemeint, die den vierbeinigen Bestandteil von Mensch-Hunde-Teams im Blick hat: Methodenvielfalt, Kompetenz und Wissen im Umgang mit verschiedenen Eigenschaften, Offenheit gegenüber Hunden, unabhängig von den Themen, die sie mit ins Training bringen.
Aber was ist mit dem zweibeinigen Teil dieser Teams?
Laut Statistischem Bundesamt leben über 10 Millionen Hunde in deutschen Haushalten. Die Heimtierstudie der Universität Göttingen von 2019 zitiert Schätzungen des Zentralverbandes Zoologischer Fachbetriebe in Deutschland, nach denen auf 100 Menschen hierzulande rund 11 Hunde kommen. Schon rein statistisch gesehen müssen diese Haushalte so unterschiedlich sein wie die Hunde, die in ihnen leben: Familien und Singles halten Hunde, Ältere und Jüngere, Frauen und Männer und alle auf dem Spektrum dazwischen, Menschen mit Behinderungen – und zwar nicht nur solche Hunde, die als Assistenz für sie arbeiten – Menschen mit Migrationsgeschichte, das lesbische Paar im Dorf und der Rentner in der Stadtwohnung; die Arbeiterfamilie mit kurzer formaler Bildungsbiografie genau so wie Akademiker*innen, Haushalte mit prekärem und solche mit solidem finanziellen Auskommen; Menschen, die gesund sind, genau so wie solche, die körperliche oder psychische Vorerkrankungen mitbringen.
Oder, kurz gesagt: Haushalte, in denen Hunde leben, sind extrem divers.
Die Berufe und Ausbildungen rund um das Training von Hunden haben sich damit aber noch kaum auseinandergesetzt: Was bedeutet Vielfalt, was bedeutet Diversität für die eigene Dienstleistung? Können wirklich alle, die Hundetraining brauchen oder wollen, es gleichermaßen ohne Probleme in Anspruch nehmen?
Wir haben Anfang dieses Jahres begonnen, uns mit dieser Frage intensiver zu beschäftigen. „Weil Vielfalt gegen Einfalt hilft“ gehört von Beginn an zum Selbstverständnis von KynoLogisch. Wir wollen Vielfalt nicht nur passiv mittragen, sondern aktiv ermöglichen helfen – sich selbst als tolerant zu sehen, reicht nicht aus. Das vielbenutzte Wort „Toleranz“ bedeutet letztlich schlicht, etwas zu ertragen oder zu erdulden. Die Übereinkunft, prinzipiell erst einmal auszuhalten, dass man unterschiedlich ist, kann aber nur der Minimalkonsens einer vielfältigen Gesellschaft sein: Anders geht’s in ihr halt nicht.
Vielfalt zu begrüßen und zu ermöglichen, ist dagegen mit aktivem Handeln verbunden.
Der selbstkritische Blick auf unsere Ausbildung und Strukturen hat uns gezeigt, dass wir mehr tun wollen und können, wenn wir unserem Anspruch weiterhin gerecht werden wollen. Und die Erweiterung des Blicks auf die gesamte Branche hat gezeigt: Damit sind wir nicht allein. Wir haben keine Literatur dazu gefunden, keine Leitfäden, Checklisten oder kollegiale Vernetzung rund um Diversitäts-Fragen. Dabei gibt es Fachstellen für Barrierefreiheit, Ministerien, Behörden und Beratungsstellen für alle möglichen Themen rund um Inklusion und Vielfalt in Arbeits- oder Lernbezügen. Was bislang fehlt, ist die Übersetzung in unseren Kontext Hundetraining; die Selbstreflexion eines Berufszweiges darüber, welche Zugänge er für welche Kund*innen ermöglicht – und für welche vielleicht nicht.
Den Worten Diversity oder Inklusion folgt all zu oft der Vorwurf der Elfenbeinturm-Verschrobenheit auf dem Fuße. Dabei geht es um ganz lebenspraktische Fragen, die für viele Kund*innen im Hundetraining alltägliche Relevanz haben.
Wo gibt es welche Barrieren?
Wie müsste z.B. ein Hundeplatz gebaut sein, damit er barrierefrei ist? Wie müssen Trainingsanleitungen gestaltet werden, damit auch Menschen mit Leseschwierigkeiten oder Sehbeeinträchtigungen sie erfassen können? Wie sollte damit umgegangen werden, dass der demographische Wandel in vollem Gange ist, also immer mehr Menschen mit Hunden älter und daher auf die eine oder andere Art körperlich eingeschränkt sein werden? Was kann getan werden, wenn in Gruppenstunden z.B. offen rassistische Kund*innen auftauchen? Und wenn sich jemand, der queerfeindliche Gewalt erlebt, meine Homepage anschaut: Wird dort deutlich, dass von mir und meinen Gruppen keine Gefahr ausgeht? Wie müsste Lehre gestaltet sein, damit Menschen auf dem Autismusspektrum von ihr profitieren können? Wie gehe ich professionell und angemessen damit um, wenn Kund*innen mir von ihren psychischen Vorerkrankungen berichten?
Das Vielfaltsjahr 2022
Wir möchten uns diesen und ähnlichen Fragen widmen, damit wir Hundetrainer*innen ausbilden und unterstützen können, die ihr Hundetraining inklusiv(er) gestalten wollen. Weil dabei die unterschiedlichsten Lebenswirklichkeiten berührt und die Antworten komplex sein werden, haben wir 2022 zum Themenjahr Vielfalt ausgerufen. Ein Projektteam aus KynoLogisch-Teilnehmer*innen und interessierten Hundetrainer*innen betreut verschiedene Schwerpunkte von Barrierefreiheit über Leichte Sprache bis Antirassismus und LGBTQIA+.
Los geht es im Dezember mit der Auftaktfolge unseres Vielfaltspodcasts „Auf der ganzen Welt wird gleich gebellt“. Unter www.kynologisch.net/vielfalt könnt ihr euch über das Projekt auf dem Laufenden halten. Und mit der Facebookgruppe https://www.facebook.com/groups/vielfalthundetraining wollen wir einen Ort schaffen, in dem Hundetrainer*innen Diskussion, Ideen und Lösungen rund um Vielfalt, Inklusion und Diversity im Hundetraining finden können. Alle Interessierten sind jederzeit herzlich eingeladen!
Denn im Laufe dieses Jahres wollen wir mit allen, die Lust darauf haben, Projekte und Materialien entwickeln, um Hundetraining inklusiv zu machen. Wir werden Expert*innen befragen, mit Menschen über ihre Erfahrungen und Wünsche sprechen und am Ende des Jahres hoffentlich nicht nur ein Netzwerk für Austausch und Lernen, sondern auch einen Fundus an einfach umzusetzenden Ideen und Maßnahmen erarbeitet haben, der allen Hundetrainer*innen zugute kommen kann. Packen wir es an. 🙂