Wir nehmen teil am digitalen Klimastreik
von Nora Brede
Es ist nicht die Frage, ob wir das Klima dieses Planeten verändert haben – wir trugen und tragen dazu bei, dass die globale Temperatur steigt. Damit ist es heute nicht zwingend heißer, als es das vor zehn Jahren war. Es wird auch im Winter noch schneien. Dass sich das Klima erwärmt, hat vor allem abstraktere Folgen: Die Polkappen schmelzen und das verfügbare Wasser lässt den Wasserspiegel steigen, während der Salzgehalt der Meere sinkt. Wichtige Strömungen in Ozeanen versiegen oder ändern sich, weil sie nicht mehr von Temperaturgradienten geleitet werden. Damit ändern sich lange konstante Ökosysteme. Dort, wo sonst Regenfälle üblich, Sommer mild und Winter kalt waren, kann es trocken werden, heiß oder sumpfig und eiskalt. Das Wort „KlimaWANDEL“ trifft viel eher auf das zu, was wir mit unserer Lebensweise unfassbar schnell und unumkehrbar auslösen.
Wir leben in einer Gesellschaft, in der wir unsere Nahrungsmittel in Supermärkten und Kleidung in der Boutique kaufen, bei Amazon bestellen, wofür wir nicht durch unzählige Geschäfte streifen wollen, und sicher mit Wissen und Medizin versorgt sind, wenn wir krank sind. Wir verlassen uns darauf, dass dieses System funktioniert. Dass wir nicht wissen müssen, wie man Nahrung anbaut und vermehrt, was Schmerzen lindert, wenn die Apotheke kein Aspirin führt, und wie man Kleidung herstellt. Wir können uns überhaupt nicht vorstellen, außerhalb unserer engmaschigen Infrastruktur zu existieren, in der wir uns hochspezialisiertes Detailwissen angeeignet haben, um unser Leben abstrakt zu finanzieren mit einer Währung, die in einer dystopischen Zukunft im Chaos und Überlebenskampf im wahrsten Sinne nicht das Papier wert wäre, auf das das sie gedruckt ist.
Wer versucht, sich mit einer derartig großen und weltumfassenden Katastrophe zu befassen, bekommt Angst, existentielle Angst. Und natürlich auch eine Angst, die man nicht immer erträgt. Und das ist nur allzu verständlich. Wir fühlen uns machtlos und fragen uns, was es bringen soll, wenn wir das wenige ändern, was zu ändern möglich scheint. Unsere Gesellschaft basiert darauf, dass wir spezialisiert ausgebildet sind, mobil sind und mit Geld ein Konsumverhalten unterhalten, das eine Wirtschaft nährt, die uns weit über das Notwendige hinaus mit Gütern versorgt. Wir sind in einer luxuriösen Welt aufgewachsen, für uns ist sie die einzige Realität – das MUSS Angst machen.
Wir bei KynoLogisch haben uns oft über den Klimawandel unterhalten – er ist auch Teil unternehmerischer Entscheidungen, die wir treffen. Ob wir es immer richtig machen, ist kaum zu sagen: Praktisch nichts, was wir als gegeben nehmen oder täglich nutzen, scheint noch klimaneutral oder anders unschädlich zu sein. Auch wir leben in dieser Gesellschaft und können nicht – wie so manches Mal hämisch gefordert – einfach das Auto stehen lassen. Aber wir können mit der Bahn fahren und Fahrgemeinschaften bilden, wann immer das möglich ist. Wir haben uns von Beginn an dazu entschieden, theoretische Inhalte online zu vermitteln. Damit müssen unsere Teilnehmenden viel weniger oft lange Anreisen in Kauf nehmen. Teilnahmebestätigungen gibt es bei uns per pdf. Damit sparen wir Papier. An unserem neuen Standort im Westen haben wir auf Kunststoffe verzichtet, wo immer es machbar war. Bei unseren KennenLernen kocht Marie am zweiten gemeinsamen Abend eine veganen Mahlzeit – nicht, weil wir Veganerinnen wären, sondern weil wir es auch wichtig finden, auf eine unaufgeregte Art und Weise zu zeigen, dass eine Mahlzeit kein Fleisch enthalten muss, um unglaublich lecker zu sein. Es macht Sinn, den eigenen Fleischkonsum einzuschränken. Man muss nicht in die Extreme schwenken – es reicht, bewusst auf Klimafreundlichkeit zu achten. Immer wieder. Im kleinen Alltag und in den großen Lebensentscheidungen. Und in immer neuen Lebensbereichen.
Deshalb beteiligen wir uns am Digitalen Klimastreik, bei dem Unternehmen ihre Internetseiten stilllegen, um Raum für ganz realen Austausch und Protest zu schaffen. Wir wollen zeigen, dass der Klimawandel kein Thema ist, das man totschweigen kann. Und wir wollen euch ermutigen, am 20. September 2019 mitzustreiken oder einen Tag Pause zu machen und um miteinander über eure Ängste und eure Möglichkeiten zu sprechen. Auf unseren Seiten werdet ihr nichts Wichtiges finden: Nicht auf unserer Homepage, nicht auf unseren Social Media-Kanälen. Das ist natürlich nicht viel – es soll ein kleiner Anstoß sein, einen Tag (das überhaupt nicht klimaneutrale) Facebook & Co. ruhen zu lassen, in sich zu gehen, Kraft zu sammeln und sich danach Stück für Stück mit dieser großen Veränderung auseinanderzusetzen. Wir können das Ausmaß des Klimawandels beeinflussen, wenn jede*r einzelne von uns aktiv das eigene Leben im Rahmen des Machbaren verändert. Wir wissen heute genug, um herauszufinden, welche Möglichkeiten wir haben. Und unser Leben ist so vollgestopft mit Unwichtigem, um einen wichtigen Beitrag zu leisten. Wir verändern uns, um unseren Planeten zu verändern. Das ist ein fairer Deal – und machbar.
Hier sind noch ein paar Quellen zum Weiterlesen:
1. Hintergrund zum Digitalen Klimastreik (Interview mit Marion Linhuber | RiffReporter)
2. Stellungnahme der Scientists for Future mit wissenschaftlichen Fakten
3. Digital Climate Strike für Unternehmen und Persönlichkeiten, die noch mitmachen möchten (plus Hintergründe, englisch)
4. Our World in Data | Climate Change (Fakten zum Klimawandel, englisch)