Eine Studie hat gezeigt…
Es ist die Zeit gekommen, in der der Satzanfang „Eine Studie hat gezeigt…“ genau so viel wissenschaftlich fundierten Inhalt verspricht wie „Es war einmal eine Prinzessin…“.
Die Medien, und damit meine ich ALLE Medien von der gestandenen Druckpresse bis hin zum ambitionierten Facebook-Blogger, beginnen heute in solcher Regelmäßigkeit ihre Sätze mit dem Verweis auf eine vermeintliche Studie, dass man darüber sprechen muss. Oft klingt es, als hätte der Autor oder die Autorin praktisch mit im Labor gesessen, so überzeugt wird von den „neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen“ berichtet.
Das klingt dann zum Beispiel so:
Die Evolutionsbiologin Nora Brede ist begeistert: „Wir konnten über 40 Jahre alte Dauereier aus dem Sediment des Greifensees im Labor wieder zu Leben erwecken.“ Das Experiment à la „Jurassic Park“ ist mehr als bloße Spielerei: …
und so:
„In lediglich 50 Jahren hat sich die Genomstruktur einer Art messbar verändert“, sagt Brede, „das ist erstaunlich, denn dieser Zeitraum ist im Vergleich zur Skala der Erdgeschichte extrem kurz.“
oder in Englisch:
Evolutionary biologist Nora Brede explains, animatedly: „In the laboratory, we were able to revive resting egges over 40 years old…“
Ich habe damals nie ein Interview gegeben. Es gibt nichts, womit man mich wörtlich zitieren könnte, weil ich mit niemandem derartig über meine Forschung gesprochen habe. Ich war nur froh, dass dieses Paper endlich draußen war: Ein Teil meiner Forschung war in einem größeren wissenschaftlichen Journal erschienen, das Forschungsinstitut hatte eine Pressemeldung herausgegeben – und die Presse hat das aufgegriffen. Und hier ist die Pressemitteilung.
Ich erinnere mich ebenfalls nicht, mit der damaligen Pressestelle gesprochen zu haben. So klingt es dann, wenn Pressetexte erstellt werden, die attraktiver wirken sollen als die ursprüngliche Veröffentlichung (und sind wir ehrlich: Fast jeder Text ist stilistisch betrachtet attraktiver als ein wissenschaftliches Paper).
Wer aber wirklich wissen möchte, was Forscher in einer Studie herausgefunden haben, der muss unbedingt in das Original schauen, denn das, was heutzutage an die oder durch die Presse weitergegeben wird, ist in vielen Fällen immer noch sehr häufig bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. JournalistInnen haben nicht die Zeit oder machen sich nicht die Mühe, ihre Artikel und die darin enthaltenen Aussagen mit den UrheberInnen der Forschungsergebnisse abzugleichen. Leider. Immer noch glauben JournalistInnen, sie könnten – ohne eigene Expertise – erfassen, was in Papers steht und daraus reißerische Storys machen. Und – weil ich die Schuld nicht alleine bei den JournalistInnen sehen kann – das gleiche gilt für Pressestellen. In den meisten Fällen gleichen die aber ihre Aussagen mit den AutorInnen vor Ort ab – und die wiederum nehmen die Aufgabe nicht ernst, ihre Pressestellen zu sinngemäßen Aussagen zu zwingen.
Niemand bemängelt den Schaden an der Glaubwürdigkeit der Wissenschaften, der durch dieses fahrlässige Verhalten entsteht. Selbst in der heutigen Zeit macht es sich keine Forschungseinrichtung zur Aufgabe, eine vernünftige Brücke zwischen dem eigenen Schaffen und dem Rest der Gesellschaft zu bauen, um diesen falschen Informationsfluss zu unterbinden.
Also lesen wir dieser Tage unter anderem in der Süddeutschen Zeitung:
Hunde beißen gerne ängstliche Menschen – und Männer.
Und:
Zu allem Übel bekommen Hundeskeptiker jetzt Gegenwind aus der Forschung. Hunde ‚merken’ offenbar tatsächlich, wie es um die Gemütsverfassung der Passanten und Trimm-dich-Freunde bestellt ist, denen sie begegnen. Das legt eine Studie der University of Liverpool nahe.
Das Wort „Studie“ führt übrigens nicht zu der angesprochenen Studie, es führt zu der SZ-internen Kategorie „Studie“, unter der die SZ offensichtlich Artikel mit Bezug zu irgendeiner Studie / Forschung / Wissenschaft sammelt.
Die eigentliche Studie findet man hier.
… Und schon im verdammten Abstract – also der Zusammenfassung, die gaaaanz am Anfang eines jeden wissenschaftlichen Papers steht – liest man folgenden Satz:
Victim personality requires further investigation and potential consideration in the design of bite prevention schemes.
Ich habe den relevanten Teil mal etwas hervorgehoben. Neonblinkpfeile standen mir leider nicht zur Verfügung: „… benötigt weiterführende Untersuchung und sollte möglicherweise in Betracht gezogen werden…“. FFS! Wenn die WissenschaftlerInnen sich schon in der Zusammenfassung nicht trauen können, eine definitive Aussage zu machen… dann hat das einen guten Grund!
Nichts desto trotz ist die (tatsächliche) Studie interessant, weil sie eine neue Perspektive auf die Ursachen von Hundebissen aufzeigt. Aber zu behaupten, dass „Hunde (…) gerne ängstliche Menschen – und Männer“ beißen, ist wirklich sehr, sehr, seeehr verkürzt. Das ist, als würde man an einem Marathon starten und nach 50 Metern umdrehen, um direkt zum Ziel zu laufen. Klingt effizient, ist aber scheiße.
Hinter „Es war einmal eine Studie…“ steckt in der Realität unglaublich viel, marathonmäßige Arbeit. Die eigene Spezialisierung, die Planung des Forschungsprojektes, die Antragstellung mit GutachterInnen, die Wahl der MitarbeiterInnen, die Forschung selbst (die sich über Monate oder Jahre zieht), die Auswertung der Daten, Ergebnisse, das Schreiben des Manuskripts, wieder viele GutachterInnen… und niemals kommt hinten raus: „HUNDE BEISSEN ÄNGSTLICHE MENSCHEN, EY!“ Niemals. Das ist nicht Wissenschaft und das würde ein seriöser Forscher mit einer Studie nie aussagen können oder wollen.
„Eine Studie hat gezeigt…“ ist heute leider meist der Anfang eines Märchens – wer die wahre Geschichte kennen will, der muss, wie so oft im Leben, mehr investieren, als den Klatsch und Tratsch der Nachbarn abzuschöpfen: Lest mehr Studien! Die echten!
Im zweiten Teil fasse ich zusammen, was diese Studie nun eigentlich gut macht und was sie aussagt… morgen. 🙂