Qualzuchten: Beratung vor der Anschaffung (2)

Interview mit Karen Körtge

Die Beratung von Menschen, die sich für eine Qualzuchtrasse interessieren, kann fachlich und emotional herausfordernd sein. Wie hole ich mir einen Beratungsauftrag ab? Wie gehe ich mit hartnäckigen „Ja, aber‘s…“ um? Und wie schaffe ich es, mich abzugrenzen? Karen Körtge ist Erziehungswissenschaftlerin, pädagogische Leitung bei KynoLogisch und Hundetrainerin. In unserer Reihe zum Thema Qualzuchten haben wir mit ihr über die Beratung von Menschen mit Interesse an Qualzuchtrassen gesprochen.

In einem anderen Interview haben wir mit Ines Neuhof über die Beratung von Menschen gesprochen, die sich für eine Qualzuchtrasse interessieren. Dich, Karen, fragen wir, was man in der Beratung dann beachten kann, um sie konstruktiv zu gestalten.

Was liegt Dir bei diesem Thema am Herzen? 

Wir als Hundetrainerinnen und Hundetrainer bringen eine gewisse Expertise mit, eine Beratung vor dem Hundekauf zu machen, also über verschiedene Typen oder Rassen aufzuklären. Durchaus auch erstmal darüber, was dieser Typus Hund vielleicht für Vor-, aber auch für Nachteile oder für Herausforderungen mit sich bringt, und ob er in den jeweiligen Familienalltag passt oder nicht. Ich finde es aber wichtig, damit einzusteigen, dass man sich einen Beratungsauftrag abholen muss.

Warum findest Du diesen Punkt so zentral? 

Es ist eines der wichtigsten Merkmale einer professionellen Beratung, dass man nicht ohne Auftrag berät – Ines hat darauf auch schon explizit hingewiesen. Einen Auftrag kann man entweder haben, weil Leute einen fragen – das passiert allerdings in relativ seltenen Fällen – oder weil man eine Beratung anbietet und sich dann das ok von den Menschen abholt; sie also sagen: „Ist ok, ich hätte gerne deine Fachexpertise.“ Wenn man dieses Go nicht bekommt, dann ist das eben so. Da darf man nicht zum Messias werden und den Leuten das Fachwissen runterpredigen. Es ist dann eben die Meinung der Leute, es sind deren Hunde, die sie anschaffen, und vielleicht ist es auch der Einfluss der freien Marktwirtschaft. Haben wir keinen Beratungsauftrag, findet das außerhalb unseres Rahmens statt, weil wir eben keine Prediger*innen sind, sondern immer in diesem Auftragsrahmen arbeiten.

Wie kann man sich so einen Auftrag denn einholen? 

Wann kommt jemand, bevor er sich so einen Hund anschafft, überhaupt in die Situation, mit uns zu reden? Außerhalb von Training passiert das vermutlich in einem privaten Rahmen, dass wir z.B. in einer Unterhaltung mitbekommen, es bestehen solche Wünsche. Wir haben dann im Endeffekt nur die Wahl, zu sagen: „Ich habe gehört, du möchtest dir einen neuen Hund anschaffen, finde ich total cool. Wenn Du möchtest, würde/kann ich dir gerne eine Beratung anbieten; ich bin Hundetrainer*in.“

Menschen, die zu uns ins Training kommen, sind der andere Fall. Leute kommen meist nicht zu einem, weil sie sich gegen die Wahl einer Qualzucht beraten lassen wollen, sondern sich für den Hundekauf entscheiden möchten. Ich würde das deshalb ganz transparent machen. „Der Hund, den du im Kopf hast, der bringt so ein paar Punkte mit, über die ich gerne vorher aufklären würde, damit du dich wirklich bewusst auf die Entscheidung einlassen kannst oder vielleicht auch noch Alternativen im Kopf hast.“

Wie geht man damit um, wenn Menschen viele in ihren Augen gute Argumente für eine solche Rasse ins Feld führen?

Gegen diese Rassen sprechen vor allem gesundheitliche Einschränkungen, die tierschutzrelevant sind. Für diese Rassen wird in den allermeisten Fällen mit dem liebenswerten Charakter argumentiert. Das finde ich immer sehr problematisch. Gleichzeitig ist es ein Argument, das man gegenüber Halterinnen und Haltern anbringen kann: die Frage danach, ob es der Charakter eines Hundes wert ist, dass die Lebensqualität dieses Hundes mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit eingeschränkt sein wird oder bereits ist. Das fängt zum Teil ja schon bei einer Geburt an, die nicht natürlich verlaufen kann und oft mit einer hohen Komplikationsrate für die Mutterhündin verbunden ist.

Häufig wird ja dann so argumentiert: „Es gibt doch gute Züchter*innen, die z.B. Rückzüchtungen für längere Nasen machen wollen. Sie und ihre Bemühungen würde man ja mit einem Kauf unterstützen und gleichzeitig etwas zum Erhalt bzw. zur Gesundung der Rasse beitragen.“ Was kann man darauf antworten? 

Die Frage, die man sich dabei auch stellen sollte: Ist es dieses ferne Ziel wirklich wert, jetzt noch so und so viele Generationen unter tierschutzrelevanten Lebensbedingungen leben zu lassen, nur um eine Rasse zu erhalten, die menschengemacht ist? Hunde sind keine seltene und gefährdete Art mit einer Bedeutung für ihr Ökosystem, die sich irgendwo in freier Wildbahn entwickelt hat. Hunde sind ein Produkt menschlicher Zucht und menschlicher Beeinflussung. Ist es wirklich legitim, zu sagen: 10 Jahre, 10 Generationen Leid produzieren wir jetzt noch, um dann – vielleicht – auf bessere gesundheitliche Merkmale zu kommen?

Ich finde Hundehaltung total super, und ich freue mich, wenn mehr Menschen Hunde halten möchten. Es gibt über 300 Rassen allein in der FCI – insgesamt sind es sogar noch mehr, ich weiß gar nicht wie viele. Dazu gibt es natürlich noch eine riesige Auswahl an Typen und Schlägen drumherum, die es einfach nicht in Rasse-Standardwerke geschafft haben, und Mischlinge kommen ja auch noch dazu. Da würde ich beraterisch anknüpfen: „Ich würde dir gerne ein paar Fragen stellen, die ich vor einem Hundekauf in der Beratung immer stelle, und dann vielleicht eine Auswahl präsentieren, damit du auf einer breiten Informationsbasis eine Wahl treffen kannst.“

Welche Fragen wären das zum Beispiel? 

Fragen, die ich vor dem Hundekauf gerne stelle, sind:

„Was ist deine Motivation, einen Hund anzuschaffen?“

„Was meinst du: Was für ein Typ Hund passt besonders gut in dein Leben, was hast du mit dem vor? Wohin soll er dich begleiten? Soll der entspannt zu Hause bleiben können? Soll der mit ins Büro? Spielen Kinder eine Rolle?“

„Du kennst ja wahrscheinlich Hunde aus deinem Bekanntenkreis oder aus deinem Alltag. Hunde haben oft auch Verhaltensweisen, die Leuten Stress machen oder problematisch sind, z.B. Hunde, die jagen gehen, die man nicht mehr von der Leine lassen kann oder die sich im aggressiven Bereich kommunikativ äußern und an der Leine pöbeln. Oder bei denen man aufpassen muss, wenn Besuch ins Haus kommt, weil sie sagen: „Das ist eigentlich hier meine Familie und mein Territorium!“ Oder Hunde, die eher öfter zu Tierärzten müssen, um durchgecheckt zu werden, weil sie ein höheres genetisches Potential aufweisen, Krankheiten mitzubringen.  Was wären in diesem Kontext Sachen, wo du sagen würdest: „Da habe ich keine Lust drauf.“

Die Antworten sind sehr unterschiedlich. Die einen sagen: „Ein Hund an der Leine ist für mich überhaupt kein Problem. Wenn ich mir jetzt einen Hund anschaffe, mit einem großen Potential jagen zu gehen, dann führe ich den eben an der Leine. Aber ich hätte den gerne für 10 bis 15 Jahre und es würde mich stressen, wenn der mit vier oder fünf Jahren schon alt wird.“ Während andere sagen: „An der Leine pöbeln ist überhaupt kein Problem für mich, ich habe keinen Stress, wenn die Nachbarn komisch schauen.“ Je nach Antwort ist vielleicht eine ganz andere Hunderasse interessant. Ich würde also nicht nur darüber gehen, was die Person möchte, sondern auch, was sie auf keinen Fall möchte.

Abschließend – und diese Frage würde ich immer zum Schluss stellen: „Was ist dir an Optik wichtig, welche Größe sollte der Hund haben?“ Da sollte man immer nochmal Bezug nehmen zur vorher geschilderten Motivation: Was für ein Leben soll der Hund führen? Das ist wichtig, damit man ein paar Sachen mit im Blick hat. Zum Beispiel: Passt der gut in eine Bahn rein, muss man den tragen, wie ist das im Auto, passt der in den Fußraum, passt der im Restaurant unter den Tisch, braucht man immer ein Deckchen, das man mitschleppen muss, will man das, all diese Dinge. Auf der Basis kann man ein paar Rassen herausarbeiten, die passend sein könnten, um die Leute mit diesen Ideen nach Hause zu lassen.

Um noch mal auf die gesundheitlichen Probleme zu kommen: Ergibt es überhaupt Sinn, die in einer Beratung anzusprechen? 

Ja. Einmal wirklich sachlich und ohne offenen oder unterschwelligen Vorwurf aufzählen, wo die Probleme sind, macht Sinn. Das kann neben der Atmung noch so Vieles mehr sein: Der Hund kann im Freizeitbereich vielleicht nicht so „genutzt“ werden, was den Halter*innen möglicherweise so nicht bewusst ist. Dann gibt es noch die eingeschränkte Atmung, Probleme mit der Thermoregulation, mit einer eingeschränkten Kommunikation, vielleicht viel höheres Konfliktpotential mit anderen Hunden, weil die denken, sie werden bedroht, und reinhacken (was wieder Stress mit der sozialen Umwelt gibt), mit einem erhöhten Reinigungsaufwand, mit erhöhten Tierarztkosten und so weiter. Das sollte man wirklich so aufschlüsseln.

In einem Beratungsgespräch würde ich das also konkret benennen, Beispiel Brachyzephalie: „Hier, das sind ein paar Fakten. Ich kann dir da auch gerne noch weitere Informationen geben, wenn du dich einlesen willst, aber bedenke gut, was die Unterschiede zwischen einem Hund mit einem normal ausgeprägten Kopf und einem Hund mit einer Brachyzephalie sind“. Dieses Wort Brachyzephalie, Kurzschnäuzigkeit, wäre etwas, das mir in der Beratung sehr wichtig wäre zu benennen. Dann würde ich das nach einem zwei-, maximal dreiminütigen Input, warum ich Kurzschnäuzigkeit problematisch finde, auch stehenlassen. Im Anschluss würde ich fragen: „Was ist denn eigentlich deine Motivation, einen Hund anzuschaffen? Nicht diesen Hund, sondern grundsätzlich einen Hund?“

Zusammenfassend: Was ist Deiner Meinung nach das Wichtigste in der Beratung? 

Ich glaube oder ich bin fest davon überzeugt, dass eine Beratung auf so einer Ebene, den Leuten nur zu sagen, was scheiße ist und wie doof sie eigentlich sind, fatal ist. Es gibt ja noch ganz viele andere Fehlentscheidungen, die Leute in der Hundeanschaffung treffen könnten. Da holt sich ein*e Ersthundehalter*in mit null Ahnung und vielleicht auch null  Affinität zu Beweglichkeit einen Malinois-Mix, der auf einmal irgendwie anfängt jeden Spaziergang zu einer Katastrophe werden zu lassen; oder es gibt die Dackel, die zu lang sind im Rücken und dann irgendwann einen Rollstuhl brauchen, weil eine Bandscheibe das nicht mehr mitmacht. Wir haben noch viel mehr als reine Qualzuchtmerkmale, wo man sagt: Ok, wenn du die Entscheidung für diesen Hundetyp triffst, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass dein Hund und du ein Leben lang darunter leiden, schon relativ hoch – möchtest du das wirklich machen?

Das Gespräch sollte man also immer mit der Grundhaltung führen, dass Menschen kompetent genug sind, ihre eigenen Lebensentscheidungen zu treffen. Aber auch kompetent genug, ihre eigenen Lebensfehlentscheidungen zu treffen und dann mit den Konsequenzen zu leben. Das ist etwas, das nicht in unserer Hand liegt.

Danke für das Gespräch, Karen!

Das Gespräch ist Teil einer zweiteiligen Interviewreihe zu Beratung von Menschen, die sich für einen Hund einer Qualzuchtrasse interessieren. Teil 1 mit Ines Neuhof findet ihr hier. Alle Artikel zum Thema Qualzucht gibt es hier.