Aktionstage Nachhaltigkeit: Online-Sein

Wie schlimm ist der CO2-Ausstoß von Serverfarmen, wenn wir googlen und ist es besser, sich online oder doch lieber von Auge zu Auge auszutauschen?

von Malin Schneider

Was ist nachhaltiger, Onlineseminare oder Präsenzveranstaltungen? Ja, auch die Nutzung des Internets verbraucht Energie. So richtig klar geworden ist mir das leider auch erst vor ein paar Jahren, im gleichen Atemzug als mir klar wurde, dass sich der Inhalt von Mülltonnen nicht in rosa Wohlgefallen auflöst, sobald die Müllabfuhr vor Ort war.

„Um eine Sekunde Suchanfragen weltweit wiedergutzumachen, bräuchte es 23 Bäume.“ (1) Ich habe BWL studiert, also wie viele Bäume sind das pro Tag? Moment, erstmal googlen wie viele Sekunden der Tag hat und dann rechnen. So oder so ähnlich würde ein „normaler“ Gedankengang aussehen. „Wann ist Einstein gestorben?”, frag Google, „Wann war noch gleich das nächste Seminar?”, frag Google. Immer häufiger erhält man auf Fragen die Antwort: „Du kannst doch googlen, oder?“

2 Mio. Bäume für einen Tag googlen

Es sind viele, richtig viele Bäume: pro Minute 1.380 Bäume, pro Stunde 82.800 Bäume und 1.987.200 Bäume pro Tag. Das sind so viele, dass meine Vorstellungskraft bereits jetzt streikt. Anders formuliert „Würde man diesen CO2-Ausstoß, mit dem eines Autos vergleichen, fährt Googles Suchmaschine alle zehn Minuten einmal um die Welt.“ (2) Über Netflix, Facebook, YouTube etc. haben wir da noch überhaupt nicht gesprochen.
Müssen wir erstmal auch nicht, weil bereits deutlich geworden ist, dass online nicht zwingend umweltfreundlich ist. Wie sieht es jedoch konkret aus?

Was ist nachhaltiger, Onlineseminare oder Präsenzveranstaltungen?

Beispielhaft beziehe ich mich auf eine kleine Studie, die eine Zoom Konferenz mit 200 Teilnehmenden untersuchte, die sechs Stunden andauerte, mit dem Ergebnis, dass die Onlinekonferenz deutlich nachhaltiger war, nämlich um den Faktor 66.(3) Ein anderer Bericht hat sich Dienstreisen angeschaut: „Bei beispielsweise 15 Meetings von einer Stunde pro Woche, komme man auf einen monatlichen CO2-Ausstoß von 9,4 Kilogramm, heißt es in der Studie. Mit ausgeschaltetem Video sinke dieser Wert auf 377 Gramm. (…) Schon ab fünf Kilometer Anfahrtsweg mit dem Auto lohnt sich der Umstieg ins Virtuelle Meeting…“ (4)

KynoLogisch hat in den letzten Monaten einige Veranstaltungen wegen der Corona-Pandemie in einer Online-Variante veranstaltet – und bei den Startveranstaltungen, den KennenLernen, haben wir auch ausgerechnet, wie viele Fahrtkilometer die Teilnehmenden sparen: Im Schnitt pro Teilnehmendem 334 bis 597 Kilometer (abhängig von der Region, Mittelwert aus allen Teilnehmenden). Ich denke, man kann mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass Online-Veranstaltungen in diesem Bereich sinnvoll sein können.

CO2 ist nicht alles

Ich stelle mir aber auch die Frage, was bei der Frage nach Nachhaltigkeit von Veranstaltungen noch eine Rolle spielt. Wenn wir Nachhaltigkeit in einem größeren Kontext verstehen, der nicht ausschließlich die verantwortungsvolle Nutzung von Ressourcen berücksichtigt, sondern in allen Bereichen des Lebens wirkt, frage ich mich wie nachhaltiges Lernen tatsächlich aussieht. Die Antwort kommt direkt, ich habe keine Ahnung. Einzig meldet sich bei mir ein leises, aber eindringliches Stimmchen, dass zwitschert, die besten und wirksamsten Erfahrungen hast du nicht Zuhause allein an deinem Rechner gemacht.

Meine Erfahrungen beziehen sich nicht ausschließlich auf die neusten Entwicklungen durch Corona bedingtes Homeoffice und Onlineveranstaltungen, sondern auch schon auf meine Studienzeit. Zugegeben ich habe mein Studienfach überwiegend mit Inbrunst gehasst und ich habe nie gefallen an Campusaktivitäten gefunden. Das Ergebnis war, dass ich praktisch alle Kurse, die meine Anwesenheit nicht erforderten, zu Hause im Selbststudium absolviert habe. Keine Frage, bestanden habe ich alle Klausuren. Meine Erinnerung umfasst jedoch überwiegend das Wissen, das ich vor Ort angewendet habe, Diskussionen, Konflikte, Projektarbeiten, Präsentationen und immer wieder Gespräche und Austausch mit Dozent*innen und Kommiliton*innen.

Was man dabei lernt ist nicht beschränkt auf Inhalte sondern erweitert auf soziale Fähigkeiten. Wenn mir eine Situation online unangenehm ist, kann ich mich einfach ausklinken, im Zweifel war die Internetverbindung schuld. Eine Nachbesprechung, der Austausch über Erfahrungswerte, die Selbstwirksamkeit der eigenen Persönlichkeit findet unter Umständen keinen Raum. Warum? Weil all das nicht planbar ist, nicht in eine Veranstaltung einkalkuliert werden kann. Atmosphäre kann ich irgendwie auch online schaffen, deutlich einfacher gestaltet sich das allerdings in echten Räumen.

Muskelgedächtnis, Kaffee und Menschen – was wir brauchen, um zu lernen

Was ist mein Punkt? CO2 ist eine Variable, eine wirklich wichtige, gleichzeitig aber nicht die einzige. Manche Dinge lernt man meiner Ansicht nach nicht zu Hause im stillen Kämmerchen, manchmal muss man einfach raus und CO2 verbraten.
Für mich ist Nachhaltigkeit häufig am alltagstauglichsten (auch das ist für mich eine Variable) wenn ich mich an angemessenen Kompromissen orientiere. Es gibt Themen, die kann ich ganz hervorragend am Telefon oder online in virtuellen Räumen besprechen und lernen und dann gibt es Themen für die ist es von elementarer Wichtigkeit vor Ort zu sein. Unser Muskelgedächtnis kann nur aktiviert werden, wenn wir unsere Muskeln auch tatsächlich benutzen. Wenn ich ein Rezept durchlese, habe ich noch kein Gefühl dafür, wann Eiweiß wirklich steif ist, wann die Kartoffeln gar oder die Butter geschmolzen ist. Wenn ich über Weitsprung lese, weiß ich nicht wie schnell ich wirklich rennen muss, wie viele Schritte Platz haben auf der Strecke und wie weit ich wirklich fliege. Wenn ich über Aggressionsverhalten bei Hunden und Selbstschutz Videos anschaue, erfahre ich nicht wie ich mich fühle Angesicht zu Angesicht mit einem Hund, der mir droht, geschweige denn wie ich mich dann verhalte. Es gibt Dinge, die lernen wir nur dadurch, dass wir sie erleben.

Halb verschlafen und ein bisschen aufgeregt am Samstagmorgen am Seminarort ankommen, sich auf das erste Pläuschchen und die drölfte Tasse Kaffee zu freuen, einen (natürlich liebevollen) Anschiss zu kassieren, weil man nicht pünktlich zum Seminarstart den Schnabel hält und abends mit vollem Kopf und plattem Hund in einem mittelschönen Hotelbett zu liegen und nicht einschlafen zu können, weil so viel passiert ist, in den sechs Stunden Veranstaltung aber auch und gerade dazwischen, geht nur vor Ort. 😉

Ein Fazit

Bekommt das jetzt bitte nicht in den falschen Hals, es gibt großartige Onlineveranstaltungen und ich war schon häufig überrascht über deren Qualität und nicht zuletzt dankbar dafür, nicht verreisen zu müssen. Manchmal ist es einfach angenehmer oder auch nur in der Form machbar, ein Seminar von zu Hause aus zu besuchen und nicht Stunden im Auto zu verbringen oder Geld für Unterkünfte und schlechte Caterer auszugeben. Ich glaube die Großartigkeit liegt darin, die Möglichkeit von beidem zu erkennen und zu nutzen.

Tipps wie wir online nachhaltiger sein können:
  • Videoqualität beim Streaming reduzieren
  • Video bei Onlineanrufen ausschalten
  • Webinare ohne Webcam-Übertragung gestalten
  • Strom aus erneuerbaren Energien beziehen
  • Suchmaschinen wie Ecosia nutzen (aber siehe auch die Kritiken an solchen Modellen)

Quellen (zuletzt abgerufen am 25. September 2021):

(1) https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/co2-abdruck-jede-sekunde-googeln-verbraucht-23-baeume
(2) https://www.t-online.de/digital/internet/id_86924338/netflix-google-facebook-so-schadet-das-internet-dem-klima.html
(3) https://reset.org/blog/wie-umweltfreundlich-sind-videokonferenzen-neue-studie-untersucht-die-umweltauswirkungen-030920
(4) https://www.forschung-und-lehre.de/videokonferenzen-erzeugen-hohe-co2-emissionen-3507/