Sommer, Pfoten & Asphalt

Malin Schneider

Mit dem Sommer kommen die Warnungen: Vorsicht, Pfoten-Verbrennungsgefahr durch heißen Asphalt! Schaut man ins Netz, scheint das gefährliche Phänomen allgegenwärtig – schaut man sich unter analogen Hundefreunden um, wirkt es eher wie Bigfoot: nicht real. Was ist also dran an den Geschichten? Sind sie veterinärmedizinisch belegt oder Urban Legends? Malin hat es recherchiert: Eine hochsommerliche Spurensuche zwischen Hunderunden, Facebookgruppen und Tierkliniken.

Die diesjährige andauernde Hitzewelle kam angekündigt. Hundebesitzer*innen hatten ausreichend Zeit, sich Gedanken darüber zu machen, wie sie diese Zeit mit ihren Hunden bestmöglich erleben können. Im Internet finden sich haufenweise Ratschläge und Tipps, worauf es bei hohen Temperaturen und Trockenheit zu achten gilt – die Rezepte für Pampe, die auf Schleckmatten schmier- und einfrierbar ist, sind dabei mein persönliches Highlight.

Neben den kreativen Beschäftigungs- und Shoppingideen ploppen überwiegend Warnungen auf, die sich auf die Gefahren von Hitze beziehen; darunter vor allem die dringenden Appelle, Hunde nicht bei höheren Temperaturen in Fahrzeugen verweilen oder auf Asphalt gehen zu lassen. Auch in dieser Hitzewelle sind schon Hunde in Autos an Überhitzung gestorben, das belegen unzählige Pressemeldungen. In Facebookgruppen zirkulieren außerdem grauenhafte Fotos von durch glühend heiße Straßenbeläge tief verbrannten Pfotenballen.

Wer wie ich mehr oder minder mitten in einer Großstadt lebt, kann sich die Frage stellen, wie es kommt, dass einem noch nie ein Mensch über den Weg gelaufen ist, der von den verbrannten Pfoten des eigenen Hundes erzählt hat. In Köln gibt es reichlich Asphalt und die meisten Hunde leben in der Regel nicht in einer Grünanlage, sondern müssen durchaus eine (asphaltierte) Strecke zurücklegen, bis sie dort ankommen.

Was hat es mit diesen äußerst bedrohlich wirkenden Warnungen zum spontanen Pfötchentod durch Höllenasphalt auf sich? Laut eines Beitrags von 4-Pfoten soll sich bereits bei 25 °C Lufttemperatur der Boden auf 52 °C aufheizen. Es werden drei Verbrennungsgrade beschrieben, die sowohl Menschen als auch Hunde betreffen können: von der Rötung über das Blasenwerfen bis hin zum Verkohlen (1). Offen gestanden habe ich mir bei 25 °C noch niemals Gedanken darum gemacht, ob meine Hunde sich die Pfoten verbrennen könnten, einfach deshalb, weil ich die Temperatur selbst noch als angenehm empfinde und überall problemlos barfuß laufen kann.
Bei Temperaturen um die 30 °C, besagt der Bericht, sei der Boden um ganze zehn Grad heißer, nämlich 62 °C.  Das wäre dann definitiv eine Gefahr für‘s Hundefüßchen – angeblich. Warum hört man dann nicht (viel öfter) von verkohlten Pfoten?

In meiner Welt, die zugegebenermaßen pickepacke voll von Menschen ist, die reichlich Zeit mit dem Thema Hund verbringen, frage ich natürlich erstmal auf der Arbeit nach: „Nora, tragen deine Hunde Schuhe, wenn es jetzt so heiß ist, oder wie regelt ihr das mit euren Hunden?“ – „Nö, tragen Hunde in Griechenland, Spanien oder Italien die meiste Zeit des Sommers Schuhe oder haben die alle verkohlte Pfoten?“ Naja, ganz so stumpf war die Unterhaltung zugegebenermaßen nicht, aber im Ansatz entstand so die Idee, das ganze Thema genauer zu hinterfragen: Wie gefährlich ist heißer Asphalt für Hundepfoten?

Eine Hypothese: Hunde wissen, was geht und was nicht

Hunde sind ausreichend überlebensfähig und es gibt entsprechende biologische Schutzmechanismen, um sich davor zu bewahren, ständig auf verbrannten Pfoten durch die Walachei zu humpeln. Das gilt, wenn sie frei wählen können, wo sie sich aufhalten. Ergo besteht die Möglichkeit, dass allein menschliche Unachtsamkeit dazu führen kann, dass Verbrennungen dennoch vorkommen. Warum? Weil wir Menschen unseren Hunden Wege und Tempi vorgeben und Leinen an ihnen befestigen, die sie dazu bringen, an Orten verweilen zu müssen, die ihnen nicht zwingend angenehm sind. Wenn der Mensch, natürlich mit besohlten Füßen, am Mittag in der prallen Sonne auf einer Kreuzung eine*n Bekannte*n trifft und eine halbe Stunde quatscht, ohne dem Hund einen Platz im Schatten zu ermöglichen, dann könnte das unangenehm, wenn nicht sogar sehr schmerzhaft für den Hund werden.

Fun Fact: Ich habe so eine Geschichte noch nie gehört. Nora auch nicht, Jenni auch nicht und auch sonst noch niemand in meinem Bekannten- und Arbeitsumfeld. Seltsam, wo doch so viel Wirbel darum gemacht wird.

Die Sieben-Sekunden-Regel

Neben Warnungen gibt es auch Präventionsratschläge, von denen mich einer besonders interessiert hat, weil er zunächst so charmant und konkret daherkommt:
Lege deinen Handrücken für sieben Sekunden auf den Asphalt. Ist diese Zeit für dich gut aushaltbar, dann kann dein Hund bedenkenlos auf dem Boden gehen. Kannst du es nicht aushalten, weil der Boden zu heiß ist, dann ist die Temperatur auch für deinen Hund zu heiß. Er kann nicht gefahrenfrei über den Boden laufen.

Ok, dazu habe ich einfach spontan mehrere Fragen:

  1. Wer hat‘s erfunden, worauf beruht diese Regel und wie wurde sie überprüft?
  2. Habe ich schon jemals jemanden draußen gesehen, der seinen Handrücken auf den Boden legt, auf sieben zählt und dann beruhigt losmarschiert?
  3. Warum ausgerechnet den Handrücken mit Hundepfoten vergleichen?
  4. Warum nicht berücksichtigen, wie lange Böden direkter Sonneneinstrahlung ausgesetzt sind oder aus welchem Material sie genau bestehen?
  5. Warum wird kein Unterschied zwischen Stehen, Gehen und Laufen gemacht?

Die Sieben-Sekunden-Regel wird im Internet immer wieder aufgegriffen und ist auf unterschiedlichsten Portalen zu finden. Unter anderem wird sie bei 4-Pfoten als Prüfwerkzeug empfohlen (1), aber auch in einem Blogbeitrag von Ralph Rückert (2). 4-Pfoten und eine Reihe andere Artikel beziehen sich sehr geschickt auf eine Studie der Frostburg State University in den USA. Dort findet man eine Präsentation im Internet, aber keine offizielle Studie, und die Folien befassen sich u.a. mit der Erhitzung von unterschiedlichen Bodenbelägen. Hunde sind darin allerdings überhaupt kein Thema, Pfoten oder gar Verbrennungsgefahren noch viel weniger. Auf alle anderen Fragen fand ich gleichsam keinerlei sinnvolle Antworten, also begann ich, die naheliegende Berufsgruppe dazu zu befragen, nämlich Tierärzt*innen.

Klinkenputzen bei lokalen Tierarztpraxen

Ich habe also losgelegt und Tierarztpraxen v.a. im innerstädtischen Bereich abtelefoniert. Offen gestanden war ich mehr als überrascht, als sich abzeichnete, dass es schlichtweg keine Fälle von durch Asphalt verbrannten Hundepfoten gibt. Eine Tierarzthelferin teilte mir mit, dass ihr in ihren 15 Jahren Arbeit kein einziger Fall in Erinnerung wäre. Es gäbe wohl wunde Pfoten von Überlastung, auch in Kombination mit sommerlich trocken/heißen Böden, aber keine Fälle von rauchenden Pfoten. Nichts, nada, absolut kein Fall zu finden. Gerechnet hätte ich mit Reaktionen wie: „Das müssen wir uns genauer anschauen, um Ihnen eine Zahl nennen zu können, aber ab Juli haben wir hin und wieder damit zu tun, über weite Teile bis in den Spätsommer hinein.“ Nein, das definitiv nicht.

Heben wir das Ganze also auf ein nächstes Level und fragen bei renommierten Tierkliniken nach. Angeschrieben und Antwort erhalten habe ich von der Ludwig Maximilian Universität in München sowie von der Tierklinik Hofheim nahe Frankfurt am Main.

Dr. Katharina Kessler von der Tierklinik Hofheim antwortete folgendermaßen:

„Nach Nachfrage bei den Kolleg*innen aus dem Notdienst kann ich Ihnen leider nur mitteilen, dass wir, in einer der größten Notaufnahmen im Rhein-Main-Gebiet, solche Fälle nicht sehen. Tut mir leid, Ihnen hier nicht weiterhelfen zu können.“

Die Antwort von Prof. Dr. Ralf Müller, einem international anerkannten Spezialisten der LMU München, der sich die Zeit genommen hat, meine Fragen zum Thema zu beantworten, fällt vergleichbar aus. Er schreibt außerdem, dass Verbrennungen der Pfoten bzw. wunde Pfoten ausschließlich aufgrund von Überlastung durch beispielsweise Rucksacktragen oder (zu) langen Wanderungen vorkämen, aber nie aufgrund von zu großer Bodenhitze. Auch Ralph Rückert antwortet auf meine Nachfrage vergleichbar.
Prof. Dr. Müller bestätigt außerdem, dass Hunde in der Regel sehr gut wissen, wo sie ihre Ruheplätze auswählen und an welchen Orten sie stehenbleiben und an welchen nicht.
Die Entstehung und Nachvollziehbarkeit oder die Sieben-Sekunden-Regel selbst sind Prof. Dr. Müller unbekannt, während Herr Rückert sie für eine gute Orientierung im Alltag hält. Die Eindeutigkeit der erhaltenen Antworten zum vermeintlichen spontanen Pfötchentod überrascht mich weiterhin.

Weil Vier-Pfoten explizit vor Pfotenverbrennungen durch einen erhitzten Boden warnt und sowohl auf die Sieben-Sekunden-Regel als auch auf die Frostberg Studie verweist, frage ich dort direkt nach, was es damit auf sich hat – und erhalte eine sehr klar formulierte Antwort der Presseabteilung: „Bei der 7-Sekunden Regel geht es nicht um einen wissenschaftlichen Zusammenhang: Die 7- Sekunden Regel gilt dem ‚Aufmerksam machen‘ von Hundebesitzern.“

Wird da eine Sau durch‘s Dorf getrieben?

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass bei stichprobenartigem Nachfragen offensichtlich keinerlei Grund dazu besteht, sich Sorgen um die Pfoten unserer Hunde zu machen. Zumindest in unserer Klimazone. Denn eines ist klar: Die erwähnte Frostburg-Studie aus den USA behandelt möglicherweise Bodenbeläge und Temperaturen, die hier (noch) eher unüblich sind, aber in den USA durchaus vorkommen können. Leider kann man der Präsentation nicht entnehmen, wo die angegebenen Messungen durchgeführt wurden.

Würde ich mich aufregen wollen, könnte ich schlussfolgern, dass alles um das Thema Nonsens ist. Vielleicht wird auch eine mit Sicherheit lukrative Sau durch‘s Dorf getrieben, denn wer kauft Schutzsalben, Hundeschuhe und Co., wenn keine Sorgen geschürt werden? Unterm Strich geht es aber vielleicht auch darum, auf eine mögliche Gefahr aufmerksam zu machen und Hundehalter*innen zu verantwortungsvollem Handeln anzuregen – das ist anzunehmen, gerade, wenn die Warnungen aus dem Tierschutz kommen.

In Anbetracht der Tatsache, wie sich unser Klima verändert und dass die Sommer zukünftig heißer werden als wir es bisher gewohnt sind, macht die Warnung vermutlich tatsächlich zukünftig Sinn. Ein offenes Auge und der Einsatz des gesunden Menschenverstandes sind immer wünschenswert in Bezug auf das Wohlbefinden unserer Hunde. Wer bei 35 Grad meint, drei Stunden auf einer unbeschatteten Straße wandern zu müssen oder es besonders klug findet, mittags das Fahrrad zu nutzen, um den Hund ohne große eigene Anstrengung auszuführen, dem nutzt auch eine Sieben-Sekunden-Regel nichts.

Vielleicht lassen wir unseren souveränen Hunden bei gewöhnungsbedürftigen Umständen einfach einen Hauch mehr Leine, einen Hauch mehr Entscheidungsfreiheit, und stehen lieber eine Stunde früher auf, um das tägliche Gassi in die kühlen Morgenstunden zu verlegen, wenn der Boden sich noch nicht aufheizen konnte. Aber: Straßen bedeuten im Sommer nicht automatisch den spontanen Pfötchentod! Es braucht mehr als nur Hitze, damit den Pfoten Gefahr droht.

Quellen:
(1) https://www.vier-pfoten.de/unseregeschichten/ratgeber-hund/heisser-asphalt

(2) https://www.tierarzt-rueckert.de/blog/details.php?Kunde=1489&Modul=3&ID=17708