Warum hört der Kauf von Qualzuchten nicht auf?
Anna Pietschmann
Trotz zunehmender Verbreitung von Informationen über ihr Leiden erfreuen sich Hunde mit Qualzuchtmerkmalen großer Popularität. Warum ist das so? Erklärungsversuche aus der Forschung.
Als Qualzucht werden ganz unterschiedliche Rassemerkmale oder vererbbare Begleiterscheinungen zusammengefasst – hier werde ich die Problematik der Wahrnehmungsverzerrungen an dem wohl am häufigsten diskutierten Merkmal bei Hunden erläutern: der Brachycephalie. Hunderassen mit extrem kurzen Köpfen und Schnauzen, wie die Französische Bulldogge oder der Mops, sind lebenslang körperlich beeinträchtigt. Sie weisen verengte Atemwege auf, die schon bei geringer Belastung zu schwerer Atemnot und Erstickungsanfällen führen können. Oft beginnt ihr Leidensweg bereits im jungen Alter. Neben der permanenten Atemnot treten auch Erkrankungen des Bewegungsapparates, des Verdauungstraktes und viele weitere Problematiken sehr häufig auf. Die dauerhaften, züchterisch bedingten Beeinträchtigungen lassen eindeutig den Schluss zu: Bei extremer Merkmalsausprägung sind kurzköpfige Rassen Qualzuchten. Trotz zunehmender Verbreitung von Informationen über das Leiden dieser Hunde erfreuen sie sich großer Popularität. Warum ist das so?
Welcher Hund darf es denn sein?
Die Wahl eines Hundes geht immer mit zahlreichen Entscheidungsprozessen einher: Soll es ein Rassehund werden? Wenn ja, woher soll er stammen? Rüde oder Hündin? Welpe oder älterer Hund? Zu dem Thema, wie Menschen sich in solchen Wahlsituationen entscheiden, wurde und wird viel geforscht. Dabei hat sich gezeigt, dass Entscheidungen eher selten das Ergebnis rationalen Abwägens unter Einbezug aller möglichen sinnvollen Informationen sind. Warum? Weil sich normalerweise langsame, aufwendige, umfassende Denkprozesse bei vielen Entscheidungen gar nicht lohnen. Wir müssen uns im Alltag oft schnell und auf Basis weniger Informationen entscheiden. Natürlich ist es theoretisch möglich, stundenlang in einer Bäckerei die mit Blick auf Zutaten und deren Herkunft optimale Wahl des Frühstückbrötchens zu treffen. Praktisch betrachtet bleibt bei so einer Herangehensweise aber zu wenig Zeit für andere Dinge im Leben, weil wir täglich mit unzähligen solcher Entscheidungen konfrontiert werden. Das schnelle Denken und Handeln hat sich evolutionär bewährt, sonst gäbe es uns gar nicht mehr. Um energie- und zeiteffizient zu arbeiten, ist unser Gehirn daher darauf ausgelegt, sehr schnell und anhand weniger Informationen zu entscheiden. Der rasche, sparsame Denkstil führt erstaunlich oft zu pragmatischen und ausreichend guten Ergebnissen. Er basiert auf einfachen Daumenregeln, Verallgemeinerungen und geringer Flexibilität. Ein Frühmensch, der unmittelbar und trotz uneindeutiger Informationslage schnell vor potenziellen Fressfeinden flüchtete, hatte mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Überlebensvorteil. Das lange andauernde Überlegen, wie bedrohlich ein weit entferntes Tier sein könnte, oder das Debattieren darüber, ob ein Säbelzahntiger nun wirklich gefährlich oder doch eher harmlos ist, hingegen nicht. Der Preis für die Schnelligkeit und fehlende Flexibilität ist, dass uns bei dieser Denkart Fehler passieren, die mehr oder weniger stark von Bedeutung sein können.
Die Frage danach, welcher Hund einen Menschen für die nächsten Jahre begleiten soll, um die Lebensqualität für beide Seiten zu steigern, ist hingegen evolutionärer Luxus. Für solche Probleme sind wir und unser Gehirn eher schlecht gerüstet – und unsere typischen, oft unvermeidbaren Denkfehler können drastische Auswirkungen haben.
Bestätigungsfehler
Schnelle Entscheidungen bedingen, dass wir uns nicht für lange Zeiträume mit einem Problem auseinandersetzen können. Daher arbeitet das Gehirn bevorzugt im “das war schon immer so und wird auch immer so bleiben”-Modus, statt sich mühsam neuen Informationen zu stellen und diese in Entscheidungsprozesse zu integrieren. Die Folge davon ist ein klassischer Denkfehler, den wir alle begehen: der Confirmation Bias, auch Bestätigungsfehler genannt. Er führt zu folgenden Phänomenen:
- Informationen, die unsere bestehende Einstellung bestätigen, werden bevorzugt aufgesucht
- Informationen und Aussagen, die unsere Einstellungen und Meinungen infrage stellen, vermeiden wir oder halten sie für unglaubwürdig
- Aussagen anderer und eigene Erlebnisse interpretieren wir so, dass sie unsere Grundsätze und Einstellungen bestätigen
- Wir erinnern uns schlechter an Informationen, die unseren Einstellungen widersprechen.
Der Bestätigungsfehler und die Qualzuchten
Der Bestätigungsfehler bringt Licht ins Dunkle, warum trotz zunehmend besser werdender Informationslage zum Thema Qualzucht immer noch Rassen wie die Französische Bulldogge erworben werden. Die entsprechenden Informationen werden einfach ignoriert.
Was passiert also mit potenziellen Käufer*innen von beispielsweise einer Englischen Bulldogge, die den Wunsch haben, ihr Leben genau mit dieser Rasse zu teilen? Sie werden sich vermehrt in Social-Media-Gruppen aufhalten, in denen der Rasse positive Eigenschaften zugeschrieben werden. Auf Instagram und Facebook gibt es zahlreiche Accounts, in denen es primär um den “wundervollen Charakter” der Tiere geht und niedliche Bilder gepostet werden. Vom Leid der abgebildeten Rasse ist selten etwas zu lesen. Der Gedanke, dass es doch gar nicht so schlimm um die Lebensqualität ihrer Vertreter*innen stehen kann, wird dort bestätigt. Einwände, die durch externe Quellen wie der beratenden Hundetrainerin kommen, werden als unglaubwürdig angesehen: Unzählige Halter*innen scheinen es doch besser zu wissen als eine einzelne Person. Die mittlerweile zahlreichen, im Internet zu findenden Qualzucht-Kampagnen werden schlicht und ergreifend ignoriert. Und die röchelnde Bulldogge, der man kürzlich begegnete? Andere Rassen machen doch auch komische Geräusche.
Bei so ziemlich allen Argumenten, die vom Erwerb einer kurzköpfigen Qualzuchtrasse abraten, steht der Bestätigungsfehler im Weg. Das betrifft auch die Besitzer*innen solcher Hunde. In Studien hat sich gezeigt, dass die starken, abnormalen Atemgeräusche und Anzeichen von Luftnot, wie das Hochlagern des Kopfes, von den Halter*innen gar nicht wahrgenommen oder ausgeblendet werden. Unabhängig vom eigentlichen, objektiven Gesundheitsstatus wird die Gesundheit der kurzköpfigen Hunde seitens ihrer Menschen als überdurchschnittlich gut bezeichnet. In Anbetracht dessen, dass Mops, Französische und Englische Bulldogge zu den am häufigsten von Erkrankungen betroffenen Hunderassen zählen, kann das nicht der Realität entsprechen. Eine weitere Untersuchung deckte auf, dass sich Käufer*innen von kurzköpfigen Hunden mit geringerer Wahrscheinlichkeit für die Gesundheit der Elterntiere interessierten. So gelangen gegen den Erwerb sprechende Informationen erst gar nicht zu den Interessent*innen.
Wir mögen, was wir häufig sehen: Mere-Exposure-Effekt
Ein weiteres Problem unseres Denkstils ist die Bevorzugung von Bekanntem. Allein das mehrfache, nahezu unbewusste Wahrnehmen einer Person kann dazu führen, dass wir sie als sympathischer bewerten. Wir bevorzugen vertraute Marken, Personen und Situationen. Dieses Phänomen wird Mere-Exposure-Effekt benannt. Er wirkt auch bei der Entscheidung für eine Qualzucht. Möpse und Bulldoggen sind immer noch omnipräsent in der Werbung, auf Dekoartikeln und Bettwäsche. Auch in den sozialen Medien und in Filmen tauchen die kurzköpfigen Tiere übermäßig häufig auf. Was wir häufig sehen, mögen wir, und die Optik spielt in der Regel eine große Rolle bei der Hundewahl. Die starke Medienpräsenz von Qualzuchten ist daher ein weiterer entscheidender Faktor, warum sich diese Rassen, trotz Aufklärung, noch so großer Beliebtheit erfreuen.
Was kann getan werden
Der Erwerb von Qualzuchten ist oft nicht nachvollziehbar. Das gilt besonders für Personen, die sowieso keinen kurzköpfigen Hund haben möchten und informiert über deren gesundheitliche Beeinträchtigungen sind. An dieser Stelle muss aber beachtet werden, dass wir alle den klassischen Denkfehlern wie dem Bestätigungsfehler unterliegen. Wer sowieso keinen Mops haben möchte, ist Informationen zum schlechten Gesundheitszustand der Rasse wesentlich zugänglicher. Oft wird Käufer*innen von kurzköpfigen Hunden vorgeworfen, weniger sorgfältig für den Hunde- als für den Handy- oder Küchenkauf recherchiert zu haben. Tatsächlich greifen jedoch bei sämtlichen Kaufentscheidungen ähnliche Mechanismen. Auch wenn wir davon ausgehen, rational abgewogen zu haben, sind die letztendlichen Entscheidungen sehr häufig das Ergebnis eher unbewusster Prozesse.
Kurzfristige Erfolge durch Aufklärung vor Kaufentscheidungen von Qualzuchten dürften daher eher gering ausfallen, auch bei großer Beratungskompetenz. Aber gerade für zukünftige Halter*innen, die sich noch nicht ganz sicher über ihren Rassewunsch sind, haben die zunehmenden Informationskampagnen und die Aufklärung über Qualzuchten einen großen Wert. Ebenso ist es sinnvoll, mit Qualzuchten werbende Firmen auf den entstehenden Schaden aufmerksam zu machen und das Vorgehen entsprechend zu kritisieren. Eine wirklich effektive Eindämmung der Zucht und des Erwerbs von kurzköpfigen Qualzuchten bietet aber potenziell nur ein gesetzlich verankertes, strikt durchgesetztes Zuchtverbot.
Anna Pietschmann betreibt den Hunde-Wissenschaftsblog Fluffology.
Quellen:
Pesendorfer W.(2006): “Behavioral Economics Comes of Age: A Review Essay on Advances in Behavioral Economics.” Journal of Economic Literature 44, 712-721. 10.1257/jel.44.3.712.
Sandøe P., Kondrup S., Bennett P., Forkman B., Meyer I., Proschowsky H., Serpell J. & Lund T. (2017): “Why do people buy dogs with potential welfare problems related to extreme conformation and inherited disease? A representative study of Danish owners of four small dog breeds.” PLOSOne 12(2): e0172091. 10.1371/journal.pone.0172091
Packer R., Murphy D. & Farnworth M. (2017): “Purchasing popular purebreds: Investigating the influence of breed-type on the pre-purchase attitudes and behaviour of dog owners.” Animal Welfare 26, 191-201. 10.7120/09627286.26.2.191
Archer J., Monton S. (2011): “Preferences for infant facial features in pet dogs and cats.” Ethology. 117(3): 217–226. 10.1111/j.1439-0310.2010.01863.x
Packer R, Hendricks A. & Burn C. (2012): “Do dog owners perceive the clinical signs related to conformational inherited disorders as ’normal‘ for the breed? A potential constraint to improving canine welfare.” Animal Welfare 21, 81-93. 10.7120/096272812X13345905673809
Packer RMA, O’Neill DG, Fletcher F, Farnworth MJ (2020) Come for the looks, stay for the personality? A mixed methods investigation of reacquisition and owner recommendation of Bulldogs, French Bulldogs and Pugs. PLOS ONE 15(8): e0237276. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0237276
Zajonc R. (1968): “Attitudinal effects of mere exposure.” Journal of Personality and Social Psychology 9(2, Pt.2), 1-27. 10.1037/h0025848
O’Neill, D.G., Pegram, C., Crocker, P. et al. Unravelling the health status of brachycephalic dogs in the UK using multivariable analysis. Sci Rep 10, 17251 (2020). https://doi.org/10.1038/s41598-020-73088-y
Dieser Artikel ist Teil einer Serie über Qualzuchten.
Teil 2: Beratung vor der Anschaffung. Ein Interview mit Pädagogin und Hundetrainerin Karen Körtge.