Qualzuchten: Im Hundetraining

Malin Schneider

Hundehalter*innen, die bereits mit einem Qualzuchthund zusammenleben oder im Begriff sind, sich einen solchen anzuschaffen, sind Teil des Kund*innenstammes von Hundetrainer*innen. Auch sie sollen kompetent und professionell beraten und begleitet werden können.

Bei Hunden mit teilweise dramatischen anatomischen und physiologischen Grundvoraussetzungen bedarf es eines angemessenen und vorsichtig vorausschauenden Umgangs: Hunde ohne geschlossenen Schädel müssen vor (liebevollen) Kopfnüssen beschützt werden, Hunde ohne ausreichend Fell brauchen Mäntel, wenn sie frieren, Hunde mit zu vielen Falten bedürfen einer besonderen Hautpflege, Hunde, die unter Atemnot leiden, müssen öfter Pause machen… und so weiter. Das ist kein übertriebenes „Betüddeln“, sondern notwendig, um Leid zu vermeiden oder zumindest zu lindern. Auch im Trainingsalltag müssen solche Merkmale Berücksichtigung finden, damit es dem Hund gut geht und die Halter*innen sich kompetent aufgehoben wissen.

Wie die Beratung vor der Anschaffung einer Qualzuchtrasse aussehen kann, darüber haben wir mit Psychologin Ines Neuhof und Erziehungswissenschaftlerin Karen Körtge gesprochen. Was aber ist mit Hundehalter*innen, die mit einem als Qualzucht geltenden Hund zu Euch ins Training kommen (wollen)? Was gilt es zu beachten, was sind möglicherweise besondere Herausforderungen? Wir haben eine Auswahl an Ideen und Tipps für vor, während und nach dem Training für Euch zusammengestellt.

Grundsätzlich gilt:

  • Kompetenzen und Wissen vertiefen
  • Eigene Grenzen anerkennen

Hundetrainer*innen sind keine Veterinärmediziner*innen. Es lohnt dennoch, sich in diesem Bereich zu bilden und unter Umständen mit Veterinär*innen, Physiotherapeut*innen und dergleichen zusammenzuarbeiten. Bestehen Zweifel an der eigenen Einschätzung gesundheitlicher Missstände, gilt es, unbedingt professionellen Rat einzuholen und die Verantwortung einer Diagnose und der daraus folgenden Maßnahmen zu übergeben und das eigene Handeln dann an diese professionelle Einschätzung anzupassen.

Das gilt im Besonderen dann, wenn die zu beratende Person noch kein Problembewusstsein dafür entwickelt hat, dass für den eigenen Hund besondere Regeln gelten sollten.

Vor dem Training

Es gibt unterschiedliche Gründe, warum Hunde mit Qualzuchtmerkmalen angeschafft werden. Als professionelle Hundetrainer*innen wollen wir einen möglichst wertfreien und angenehmen Start in die Beratung erreichen, in der sich die Halter*innen nicht vorgeführt, beschämt oder gar angegriffen fühlen. Außerdem müssen wir sicherstellen, dass die Hunde in unserem Trainingskontext keinen Gefahren für Gesundheit oder gar Leben ausgesetzt sind. Als Hundetrainer*innen müssen wir gewährleisten, dass Lernen in einer wertschätzenden, entspannten Atmosphäre stattfinden kann. Weder Hund noch Mensch sollten sich unter unserer Obhut mutwillig in Gefahr begeben, sondern mit den mitgebrachten Voraussetzungen bestmögliche Unterstützung finden.

Deshalb gilt vor dem Training:

  • Gesundheitszustand abklären und Erwartungen klären

Nicht alle Hundetrainer*innen verlangen ein Erstgespräch bevor ein Mensch mit seinem Hund an einer Gruppenstunde teilnehmen darf. In der Einzelberatung ist ein Erstgespräch in der Regel obligatorisch. In diesem Fall ist ohnehin ausreichend Privatsphäre und Raum gegeben, um das Thema der körperlichen Einschränkungen eines Hundes zu besprechen. Besonders bei Halter*innen von Qualzuchtrassen bietet es sich an, auf einem Erstgespräch zu bestehen, bevor überhaupt eine Teilnahme an Gruppenstunden stattfinden darf. Im geschützten Rahmen können in dieser ersten Beratung bereits vorhandene gesundheitliche Probleme angesprochen und eine Perspektive auf die Möglichkeiten der Teilnahme eröffnet werden. Der Schwerpunkt sollte das Einschätzen der gesundheitlichen Voraussetzungen und der Verfassung des Hundes sein, sowie die Frage, ob und an welchen Kursen der Hund teilnehmen könnte, ohne sich zu gefährden.

Das könnte zum Beispiel bedeuten, dass ein Mops-Besitzer möglicherweise mit seinem Hund am Agility teilnehmen kann, sich allerdings darauf einstellen muss, dass der Kurs erst im Herbst und nicht im Sommer besucht werden darf. Zudem wird das Ziel dieses Teams nicht Geschwindigkeit sein und der Fokus beispielsweise das gemeinsame Erleben und Meistern eines Parcours, in moderatem Tempo.

Vielleicht meldet sich eine Chihuahua-Halterin, die sich wünscht, dass ihr Hund an einer Spielgruppe teilnehmen kann, damit er nicht mehr so viel Angst vor großen Hunden hat. Hier kann bereits am Telefon erklärt werden, dass diese Angst durchaus berechtigt sein kann und eine Teilnahme an einer Spielgruppe mit großen Hunden zu risikobehaftet wäre. In einem Erstgespräch kann jedoch abgeklopft werden, wie es um den Charakter und v.a. den Schädel des Hundes bestellt ist. Wie gut sind die Augäpfel in den Schädel eingelassen und ist die Fontanelle geschlossen? Diese Informationen sind notwendig, um zu entscheiden, ob ein Spiel in einer Gruppe kleinerer Hunde möglich ist oder ob es eines speziellen Rahmens bedarf, in dem sehr geregelter Kontakt mit einzelnen passenden Hunden stattfindet und die Kontrollmöglichkeiten verhältnismäßig hoch sind.

Während des Trainings

  • Allgemeinzustand monitoren und Rahmenbedingungen ggf. anpassen

Gehen wir davon aus, dass in einem Erstgespräch abgeklärt ist, welche Möglichkeiten und Einschränkungen es für Hunde mit Qualzuchtmerkmalen gibt. Dann gilt es, diese während der Trainingseinheiten im Auge zu behalten und gegebenenfalls anzupassen.

Stellt sich heraus, dass der Mops schlechter atmet als gedacht oder zusätzlich zur erschwerten Atmung zu lahmen beginnt, muss unter Umständen eine Anpassung der Trainingsmöglichkeiten gefunden und erneut das (Einzel-)Gespräch gesucht werden. Auch für einen jungen (zunächst) gesund laufenden Berner Sennenhund kann es sinnvoll sein, pauschal von Hundesport oder Beschäftigung mit Sprüngen, Stopps und generell hoher Gelenkbelastung, abzuraten. Besonders bei Brachyzephalie, Chondrodysplasie und allen Rassen, die zu Gelenkserkrankungen neigen, ist es ratsam auf moderate Bewegung und Körpergewicht zu achten und Übergewicht sowie zu hohe körperliche Belastung zu vermeiden. Laufen diese Hunde frei in Gruppen, gilt es, eventuelle Verhaltensauffälligkeiten in Bezug auf das gesundheitliche Handicap zu beobachten. Schmerzen oder Atemnot können berechtigte Gründe für einen Hund sein, um schneller als sonst oder überhaupt erst aus der Haut zu fahren.

Neben den unter Umständen für Hundehalter*innen frustrierenden Einschränkungen bietet es sich an, ein Portfolio an Alternativen darzulegen. Beispielsweise empfiehlt es sich für Halter*innen brachyzephaler Rassen eher, an einem Trickkurs als an einem Agility-Kurs teilzunehmen und im Alltag lieber mehrere kurze Spaziergänge als einen langen Ausflug zu machen, um dem Hund ausreichende, aber sinnvolle Bewegung zu verschaffen. Selbstverständlich macht es für alle Menschen mit Hunden Sinn, eine individuell passende Beschäftigung im Alltag zu finden – nicht nur bei Hunden mit Qualzuchtmerkmalen. Der Fokus bei letzteren sollte im Training aber nicht zuerst darauf liegen, was dem Hund oder auch dem Menschen Freude macht, sondern zunächst, was überhaupt unter den gegebenen gesundheitlichen Voraussetzungen sinnvoll ist.

Nach dem Training

  • Abschließende Beratung und Hinweise auf mögliche zukünftige Entwicklungen, um Halter*innen kompetent zu entlassen

Es ist nicht möglich zu überprüfen, ob Hundehalter*innen die Empfehlungen und Hinweise in ihrem Alltag übernehmen und einhalten. Besonders bei Hunden mit Qualzuchtmerkmalen ist ein konkreter Ausblick und klare Kommunikation jedoch unerlässlich. Darf der Chihuahua in der Hundeschule nicht mit den Großen spielen, sollte den Halter*innen die Begründung und der Risikoumfang in Gänze erklärt worden sein, sodass sie mit der Empfehlung in ihren Alltag gehen und verinnerlicht haben, dass ihr Hund generell nicht mit großen Hunden spielen sollte, dabei kann u.U. auch schon ein Stelldichein mit einem Dackel gemeint sein. Dieses Beispiel verdeutlicht, wie wichtig es sein kann als Beratender zu erfragen, wie das Gesagte tatsächlich verstanden wurde. Konkret heißt das hier abzuklopfen, was Halter*innen unter „großen“ Hunden verstehen, ob ihnen klar ist, dass auch der nette Nachbarshund aus Versehen ohne böse Absicht den Schädel im Spiel eindrücken kann und dass die nicht unrealistische Konsequenz das Versterben des eigenen Hundes sein könnte.

Es kommt häufig vor, dass Hunde mit genetischer Disposition für Erbkrankheiten sowie Hunde mit Qualzuchtmerkmalen ausgeprägtes Leid erst etwas später in ihren Leben entwickeln. Vielleicht ist der Mops in der Welpen- und im Anschluss in der Junghundegruppe noch recht fidel und kann halbwegs vernünftig atmen. Verlässt er im Anschluss daran die Hundeschule, was nicht unüblich ist, kann ein abschließendes Gespräch unter Betonung bestimmter Punkte der bereits erfolgten Beratung wiederholt werden. Nicht selten hoffen Menschen darauf, dass es bei ihrem Hund anders sein wird – das ist in Ordnung und kann im Gespräch aufgegriffen werden. Eine sachliche Darstellung und Bitte um besondere Rücksichtnahme auf entsprechende Merkmale beim Hund, wird dennoch gehört und kann vielleicht von Halter*innen zu einem späteren Zeitpunkt abgerufen werden, spätestens dann, wenn es notwendig sein wird.

Hunde mit Qualzuchtmerkmalen gibt es – und nicht gerade wenige davon. Diese Hunde haben bereits ein Zuhause und Personen, die sie lieben und die sich nur das Beste für sie wünschen. Wir Hundetrainer*innen tragen unseren Teil dazu bei, dass diese Hunde ein möglichst erträgliches und angemessen normales Leben leben dürfen. Mit einer kompetenten Beratung, professionellem Hundetraining, das Limitierungen und Möglichkeiten klar und verständlich aufzeigt, können Hundetrainer*innen verdeutlichen, dass jeder Hund willkommen ist und Halter*innen dafür sensibilisieren, welcher Umgang die Situation des Tieres nicht zusätzlich verschlechtert.

Malin Schneider ist Hundetrainerin und Online Redakteurin bei KynoLogisch.

Dieser Artikel ist Teil einer Serie über Qualzuchten.

Teil 1: Beratung vor der Anschaffung. Ein Interview mit Psychologin und Hundetrainerin Ines Neuhof.

Teil 2: Beratung vor der Anschaffung 2. Ein Interview mit Pädagogin und Hundetrainerin Karen Körtge.

Teil 3: Warum kaufen Menschen Qualzuchtrassen? Ein Text von Anna Pietschmann.