Warum „gendern“ nervt – und wir es bei KynoLogisch trotzdem machen
von Nora Brede und Jennifer Rotter
Sprache gendern? Seien wir ehrlich: Es nervt. Das Binnen-I nervt. Das Gendersternchen nervt. Diese Doppelnennungen sind nervig. Und der Unterstrich, der nervt auch. Weil Texte nicht mehr so schön aussehen, weil die Grammatik kompliziert wird, weil man das alles nicht mehr richtig aussprechen kann.
Es gibt sogar Menschen, die das Gendern nicht nur unsinnig finden, sondern irrational wütend reagieren, wenn ihnen gegenderte Sprache begegnet: Das generische Maskulinum meint doch einfach alle mit! Wirklich emanzipierte Frauen wären selbstbewusst genug, auf so ein Sprachkleinklein nichts zu geben. Der Feminismus solle sich lieber um die wirklich wichtigen Dinge kümmern. Gleichberechtigung wäre doch eh schon erreicht. Verkrampfte Emanzen! Feminazis! (Ein Nazi-Vergleich? Ernsthaft?!) – und so weiter.
Gleichberechtigung ist noch lange nicht erreicht
Mut besteht heute also auch darin, in Texten ein Umdenken zu fördern. In einer Zeit, in der Parteien wieder weit in die Vergangenheit zurückblicken und das Bild der Frau zu Hause am Herd und beim Kind verromantisieren. In einer Zeit, wo exakt der gleiche Rasierer an Frauen in Pink verkauft wird und ein Drittel mehr kostet. Wo es Überraschungseier für Mädchen gibt… in rosa. Wo Grundschulkinder auf Arbeitszetteln bewerten sollen, was typisch Junge und typisch Mädchen ist – und „falsche“ Antworten zu schlechteren Noten führen. In Zeiten von #metoo. Gleichberechtigung ist nicht erreicht – egal, wie man es betrachtet. Bei KynoLogisch bemühen wir uns auch deswegen, unsere Texte zu gendern.
Wir sind uns ziemlich sicher, dass Manche darum angestrengt sind, wenn sie etwas von uns lesen. Dass es Menschen gibt, die unsere Homepage aufrufen, irgendwo ein Binnen-I entdecken und allein deshalb gleich wieder wegklicken. Wir können uns sogar vorstellen, dass es Einige davon abhält, bei uns die Ausbildung zum Hundetrainer oder zur Hundetrainerin zu machen oder unsere Veranstaltungen zu besuchen. Und ja, wir wissen, dass die erste prominente Aussage auf unserer Seite nicht gegendert ist. Auch wir wägen Platz, Ästhetik oder die Kraft einer Aussage gegen das Gendern ab. Dieses Totschlagargument lassen wir also nicht gelten.
Warum machen wir Euch diesen Stress?
Warum machen wir uns und unserer Leserschaft diesen Stress, in Lesetexten zu gendern? Weil die Forschung gezeigt hat, dass Sprache nicht nur das Werkzeug ist, mit dem wir die Wirklichkeit beschreiben. Es ist das Werkzeug, mit dem wir die Wirklichkeit überhaupt erst erschaffen. Und wir wollen eine Wirklichkeit, in der Männer und Frauen (und alle, die sich irgendwo dazwischen sehen) dieselben Rechte und Chancen haben.
Allen, die jetzt genervt aufstöhnen, sei ein bisschen Statistik um die gerümpfte Nase gehauen: Klassische Frauenberufe werden nicht nur schlechter bezahlt, sondern erhalten auch weniger Anerkennung. Und nicht nur das: Wenn Frauen in einen klassischen Männerberuf vordringen, gehen dort die Durchschnittsgehälter ganz schnell den Bach runter. Ja, das ist nachgewiesen. Je mehr Frauen in einem Beruf, desto schlechter bezahlt und desto weniger angesehen ist er. Und das hat nichts mit der Leistung der Frauen zu tun (wir schreiben das mal vorsichtshalber dazu…) Von den Schwierigkeiten, Karriere zu machen, den subtilen Benachteiligungen, wollen wir gar nicht erst anfangen.
Unser Gehirn ist chronisch überarbeitet
Schön und gut, sagt ihr vielleicht. Aber was hat das alles mit dem Binnen-I zu tun? Sollte man sich dann nicht lieber um diese Baustellen kümmern, anstatt sich an ein paar Worten oder sogar Buchstaben zu verkämpfen?
Nein. Ganz im Gegenteil.
Unser Gehirn kann man sich vorstellen wie einen schwer überarbeiteten Sachbearbeiter, der in seinem dunklen Stübchen etwas grau und hängebackig geworden ist. Jeden Tag wird er mit Millionen von Informationen bombardiert. Unser Gehirn versucht deshalb, es sich (und uns als Hirn-ArbeitgeberIn) so einfach wie möglich zu machen. Es greift auf bereits bekannte Konzepte zurück, auf gemachte Erfahrungen, und sortiert die Eindrücke in Schubladen, die es im Laufe seiner Ausbildung fein säuberlich etikettiert hat. Schubladen sind super – sie schaffen Ordnung und Überblick und helfen, schnell Entscheidungen zu treffen. Einzelfallentscheidungen, Differenzierungen und Veränderungen lässt dieses System deswegen allerdings kaum zu.
Das Gendern ist der Versuch, etablierte, aber fehlerhafte Ordnungssysteme neu zu organisieren.
Was das bringen soll? Viel!
Es ist z.B. inzwischen erwiesen, dass die männliche Bezeichnung Frauen eben nicht „einfach mitmeint“. Spricht man von „Ingenieuren“ oder „Wissenschaftlern“, stellen sich die meisten Menschen genau das vor: Männliche Ingenieure und männliche Wissenschaftler. Will man sie dazu bringen, dass sie sich eine Ingenieurin oder eine Wissenschaftlerin vorstellen, muss man diese explizit nennen.
Sprache beeinflusst, wie wir unser Leben führen
Und das ist ein Problem, denn es beeinflusst, wie wahrscheinlich wir selbst einschätzen, dass Männer und Frauen einen Beruf ausüben können. Es gab vor ein paar Jahren eine Studie mit Kindern, die gezeigt hat: Wenn männliche und weibliche Berufsbezeichnungen zusammen verwendet werden, bewerten Kinder nicht nur das Prestige dieser Berufe anders. Sie bewerten auch anders, ob sie selbst dazu in der Lage sein könnten, diesen Beruf später auszuüben. Das heißt: War von „Ärzten und Ärztinnen“ die Rede und nicht nur von „Ärzten“, haben sich Mädchen eher zugetraut, später mal Ärztin zu werden. Wenn nicht nur von Erzieherinnen, sondern von Erzieherinnen und Erziehern gesprochen wurde, fanden Jungs den Job interessanter.
Sprache kann also beeinflussen, wie Männer und Frauen, aber vor allem Heranwachsende, Berufe für sich bewerten, was sie für sich selbst erreichbar glauben, welche Karrierewege sie einschlagen, kurz: wie sie ihr Leben führen. Wir nehmen unseren eigenen Kindern also nachweislich die Möglichkeit, sich frei zu entfalten, wenn wir in Texten nicht jedes Geschlecht erfassen!
Und das alles nur auf Grund von Sprache. Erstaunlich, oder?
Vor kurzem hat ein ziemlich bekannter Fachblogger einen abfälligen Text veröffentlicht. Der Anlass: Eine seiner LeserInnen, die auch eine Kollegin ist, hatte ihn darauf hingewiesen, dass in seinen Beiträgen immer nur die männliche Form benutzt wird. Angesichts der vielen Frauen in dem Beruf (und in der Bevölkerung *hust) würde sie anregen, auch mal die weibliche Version zu verwenden. Der Blogger hat die Mail dieser Frau in seinem Text veröffentlicht. Deshalb wissen wir, dass sie ihre Anregung freundlich und humorvoll vorbrachte, ohne zu fordern oder Vorwürfe zu formulieren.
„Ich find‘ gendern scheiße“
Die Reaktion? Wir verlinken hier bewusst nicht auf diesen Text, denn er lässt sich – nimmt man die Beleidigungen heraus – auf eine ziemlich simple Kernaussage zusammenfassen: Ich habe meine Stempel, meine Schubladen, meine Ordnung. Ich habe keinen Bock, umzubauen.
Das ist das gute Recht dieses Autors. Es ist sein Blog, es sind seine Regeln. Geschenkt.
Das Problem fängt da an, wo er seine persönliche Präferenz („Ich find’ gendern scheiße“) zur Waffe gegen jene freundliche Kollegin und alle umrüstet, die gendern sinnvoll finden: Aus seiner ganz individuellen Ablehnung wird die einzig richtige Haltung, und alle, die es anders sehen, sind kleinlich, peinlich, hysterisch. Er hat einen ganzen Blogartikel der Herabwürdigung dieser Frau gewidmet. Man könnte auch vom Einmaleins des antifeministischen Schreibens sprechen – und das geht so:
– Die Kritik als Kritik einer kleinen Gruppe klein machen.
– Die eigene Wichtigkeit und Seriosität betonen.
– Die Angemessenheit der Kritik in Frage stellen.
– Der Gegnerin zu starke Emotionalität unterstellen.
– Die feministische Position durch Beschämen mit Schimpfworten und unangemessenen und überzogenen Verbildlichungen zum Schweigen bringen wollen.
– Vorgeben, was richtiger Feminismus zu sein hat (heute auch gerne als mansplaining bezeichnet – man = Mann, explain = erklären, Männern erklären Frauen, wie es geht.)
Billige Rhetorik
Das ist Rhetorik, und es ist vermutlich die älteste und billigste, die es in dieser Sache geben kann: Seitdem Menschen dafür eintreten, dass alle Menschen dieselben Rechte haben, gibt es andere, die diese Haltungen zum Verstummen bringen wollen, indem sie ihre VerfechterInnen der Lächerlichkeit preisgeben. Diese Rhetorik hat nichts mehr mit den eigenen Hausregeln eines Autors zu tun – statt „Nein, danke“ zu schreiben, nachzutreten, ist nicht mehr richtig. Nicht wegen der Nennung zweier Geschlechter in einem Satz…
Es macht, dass andere nicht mit „diesen hysterischen Emanzen“ oder „diesen übersensiblen Gutmenschen“ in einen Topf geworfen werden wollen, dass Menschen sich anpassen, schweigen, wegducken. Wer will schon öffentlich als frustriert, übertrieben emotional oder alberne Witzfigur dargestellt werden? Niemand. Das spiegelt sich auch in den Kommentaren zu dem Artikel wider: neben denen, die der Mailschreiberin recht geben (etwa ein Viertel der Kommentare), gibt es noch viel mehr, die sich beeilen, zu betonen, wie wenig sie – als emanzipierte Frauen und vereinzelt auch Männer – sowas nötig hätten, den Fachblogger bejubeln und das Gendern sprachlich vernichten. Eine bedenkenswerte Meinungsäußerung in Form eines freundlichen Briefes wird so an den Pranger gestellt, mit Dreck beworfen, dann isoliert und tabuisiert.
Interessant, was Sprache so bewirken kann, oder? Schrecklich, was Sprache so bewirken kann, oder?
Und deshalb beziehen wir Stellung.
Das ist der Anlass dafür, warum wir uns mit unserem Artikel bewusst zum Gendern von Sprache äußern. Denn das Gendern von Sprache ist ein winziger Schritt für uns – von vielen gebraucht, kann es aber ein großer Schritt für alle in Richtung von mehr Gerechtigkeit sein. Denn wenn „Frauenarbeit“ nicht mehr abgewertet wird und Berufe generell allen offenstehen – was haben wir dann als Gesellschaft verloren? Nichts, glauben wir. Aber viel gewonnen.
Wir werden versuchen, mit unseren Texten die Vielfalt widerzuspiegeln, die die große und wundervolle Herausforderung dieses Lebens ist. Wir stellen uns dieser Kontroverse und beziehen Stellung – und erwarten eine faire und reflektierte Auseinandersetzung mit dem Thema von unseren LeserInnen. Wir akzeptieren ein Nein, wir akzeptieren ein Ja – wir freuen uns für jeden, der sich die Zeit nimmt, sich über die Stimmungsmache hinwegzusetzen, und das Thema unaufgeregt reflektiert. Wir begegnen Euch auf Augenhöhe und ihr begegnet uns auf Augenhöhe. Das ist die Freiheit, die wir uns nehmen – und darauf sind wir stolz. Ihr Lieben.
Quellen:
Zum Überblick:
„Frauen sind keine Sonderfälle“: http://www.tagesspiegel.de/wissen/generisches-femininum-an-der-uni-leipzig-frauen-sind-keine-sonderfaelle/8310626.html
„Feuerwehrfrauen und Geburtshelfer helfen bei der Berufswahl“: http://www.tagesspiegel.de/wissen/gender-in-der-sprache-feuerwehrfrauen-und-geburtshelfer-helfen-bei-der-berufswahl/12023192-all.html
„Viele Frauen, weniger Geld“: http://www.sueddeutsche.de/karriere/geschlechter-lohnluecke-viele-frauen-wenig-geld-1.2969131
Es gibt unzählige Studien zu dem Thema. Diese hier ist ein guter Einstieg und nennt drölfzigtausend weitere Quellen:
Vervecken, Dries: The Impact of Gender Fair Language Use on Children’s Gendered Occupational Beliefs and Listeners‘ Perceptions of Speakers, Dissertation, Berlin, 2012: Link zum PDF