Was ist die Zusatzqualifikation Problemverhalten?

von Nora Brede

Ab dem kommenden Jahr bieten wir eine Zusatzqualifikation für Hundetrainer*innen an – und wir haben uns dazu entschieden, ihr einen sehr unverblümten Namen zu geben: „Problemverhalten“. Dafür gibt es gleich mehrere Gründe und die möchten wir aufzeigen, weil es so wichtig ist, über dieses Thema zu reden.

Ein schwarzer Hund jagt auf einem regennassen Weg eine davonflatternde Ente

Was ist „Problemverhalten“?

Nicht jeder Hund fügt sich ohne Schwierigkeiten in alle Lebensumstände einwandfrei ein – Vorerfahrungen, Wesensmerkmale und Rasse-Eigenschaften können das verhindern. Betrachtet man den Begriff „Problemverhalten“ an sich, dann kann man vereinfacht zusammenfassen, dass es im Alltag von Hundetrainer*innen zwei Abstufungen solcher Verhaltensweisen gibt: Normalverhalten, das unerwünscht ist oder als problematisch empfunden wird, aber im Grunde eine Frage des Verständnisses für Hundeverhalten oder der Erziehung ist. Und Verhalten, das aus unterschiedlichen Gründen übermäßig auffällig ist: Es kann auf Erkrankungen hindeuten, kann lange etabliert und deswegen stark verfestigt sein und es kann so ungehemmt sein, dass es tatsächlich gefährlich ist oder für den Hund eine starke Einschränkung seiner Lebensqualität mit sich bringt. Welche der beiden Kategorien zutrifft, ist zunächst egal: Wenn ein Verhalten problematisch ist, egal ob empfunden oder objektiv betrachtet, dann muss die Beratung und die Bearbeitung durch Hundetrainer*innen erfolgen, die eine explizite Fachkompetenz besitzen.

Problemverhalten steht für Gefährlichkeit

Jenseits einer ganz normalen Hundehaltung wird der Begriff „Problemverhalten“ ebenfalls genutzt – nämlich von Behörden, wenn sie sich mit den bundes- und landesrechtlichen Regelungen zu gefährlichen Hunden befassen und die Gefährlichkeit von Hunden einschätzen, um gegebenenfalls Maßnahmen zum Schutz von Menschen oder Tieren zu beschließen. Einerseits finden sich in diesem Kontext die hochumstrittenen Rasselisten einiger Bundesländer. Andererseits ist „Problemverhalten“ aber auch ein Sammeltopf von Verhaltensweisen: Es beginnt mit dem jungen Labrador, der unerzogen und überschwänglich alte Personen und Kinder zur Begrüßung anspringt und sie dabei umstoßen kann, weil er an die 40 kg wiegt. Dabei stürzt der Mensch, kann sich nicht abfangen, schlägt mit dem Kopf auf den Gehweg – und deswegen ist das Verhalten des Labradors problematisch, ganz konkret gilt es zumindest in einigen Bundesländern sogar als gefährlich.

Gefährliche Hunde sind nach der Verordnung auch Hunde, die jagen. Nur teils ist es relevant, ob sie kontrollierbar sind. Es geht nicht ausschließlich um fehlgeleitetes Jagdverhalten, das sich im schlimmsten Fall darin manifestiert, Menschen als Beute wahrzunehmen – es geht um das zunächst für ein (ehemaliges) Raubtier völlig normale Jagen von Wild- und Nutztieren. Gefährlich kann nach der Verordnung auch sein, wenn ein Hund unverträglich mit Artgenossen ist. (Auch wenn Sachbearbeiter*innen in der Realität sehr wohl unterscheiden, wenn sich zwei junge, intakte Rüden zufällig begegnen und die Situation deswegen unangemessen eskaliert ist.)

Am wenigsten strittig ist sicherlich, dass solche Hunde als gefährlich gelten, die ungehemmt Menschen beißen – der Grund dafür ist erst einmal egal. Zu diesen Hunden zählen also auch Zugriffshunde der Polizei, denn sie haben genau das gelernt: Menschen beißen. Gefährlichkeit ist eine Kategorie, Problemverhalten der inoffizielle Sammelbegriff für all jene Verhaltensweisen, in denen Behörden aktiv werden müssen, weil Menschen oder Tiere gefährdet sein könnten.

Problemverhalten – auch für den Hund

Problemverhalten beschreibt einen weiteren immens wichtigen Aspekt: Es ist ein Problem für den Hund. Hunde sind hochsoziale Wesen, die in den allermeisten Fällen den engen Kontakt zu Menschen und / oder Hunden suchen, die eine Gemeinschaft benötigen, einen Ort des Rückzugs und des Komforts. Wird die Haltung eines Hundes von Problemverhalten belastet, kann das zu einem permanenten unterschwelligen Stressor für Hund und Halter*in werden. Der permanent besorgte Blick auf Unsicherheiten in der Umwelt, durchgängiges Anleinen mit einhergehender fehlender Bewegungsmöglichkeit bei unzuverlässigem Abruf oder unkontrolliertem Jagdverhalten. Grenzenlosigkeit oder permanentes, sich steigerndes Misstrauen dem Hund gegenüber, der zuerst nur gedroht, später geschnappt hat und nun vielleicht ungehemmt beißt. Fehlende soziale Kontakte zu Hunden oder Menschen, Orientierungslosigkeit und Unruhe – Problemverhalten hat einschränkende Facetten, unter denen Hunde und ihre Halter*innen leiden können.

Professionalität in einem komplexen Gefüge

Die große Herausforderung für Hundetrainer*innen im Bereich Problemverhalten hat gleich mehrere Komponenten: Großes Leid und immenser Leidensdruck schaffen ein Machtgefüge zwischen der anleitenden und der angeleiteten Person – es bedarf hoher Professionalität im Umgang mit Kund*innen und ihren Hunden, um angemessen und umsichtig zu handeln. Wer Macht hat, trägt eine gewaltige (!) Verantwortung und muss sich ihrer bewusst sein.

Problemverhalten ist nicht ein Verhalten: Man kann sich nicht auf Aggressionsverhalten spezialisieren und damit all die Facetten problematischen Verhaltens abdecken, die im Arbeitsalltag Hilfe und Beratung bedürfen. Ambivalenz und Mischmotivation, erzieherische Defizite und verpasste Gelegenheiten während der Sozialisierungsphase, Persönlichkeitsmerkmale, die sich in Unsicherheiten manifestieren, und eine frühe Ontogenese unter stark kontrastierenden Lebensbedingungen (wie es beispielsweise bei Hunden aus Ländern mit großen Straßenhund-Populationen der Fall sein kann) sind alles Facetten, die letztendlich Teil eines Bildes formen können, das dann problematisch wirkt.

Ziel ist die holistische Betrachtung und eine hohe Handlungskompetenz

Hundetrainer*innen müssen umfassendes Wissen zu allen Aspekten des Hundeverhaltens haben. Das ist heutzutage durch die benötigte Sachkunde zur Berufsausübung natürlich gegeben. Je nach Ausbildung und Zulassungsverfahren, eigenen Interessen und sich wandelnden Angeboten gibt es Bereiche, die von dieser Sachkunde nicht abgedeckt werden, wenn es um Problemverhalten geht: Arbeitssicherheit im Umgang mit Hunden, Erfahrung und die Expertise, verschiedene Ursachen von Problemverhalten zu erkennen und sie in die Analyse eines Falles mit einzubeziehen, Kompetenzen in der Beratung von Halter*innen, Reflexionsfähigkeiten über die eigene Rolle im Trainingsprozess beispielsweise. Mit der KynoLogisch Zusatzqualifikation Problemverhalten werden wir diese Expertise vermitteln: die umfassende Fachkompetenz Hunden zu helfen, die Problemverhalten zeigen, auch indem Halter*innen konstruktiv und effizient beraten werden.

Wege zum Ziel fundiert finden

Gerade im Bereich des Problemverhaltens gibt es noch einen weiteren, wichtigen Konflikt, der letztendlich vor allem dazu führt, dass es nur wenige qualifizierte Hundetrainer*innen gibt, die Problemverhalten bei Hunden umfänglich bearbeiten: Die Arbeit mit Verhalten, das hohen Leidensdruck oder hohes Gefährdungspotenzial für Mensch oder Hund mit sich bringt, zwingt zur Auseinandersetzung mit ethischen Fragen im Kontext Hundetraining und der Wahl von Trainingsmethoden. Diese Auseinandersetzung muss zwingend Teil einer Ausbildung sein, die Trainer*innen Handlungssicherheit, Kompetenz und Integrität im Umgang mit Hunden vermitteln will, die selbst- oder fremdgefährdendes Verhalten zeigen.

Im Rahmen der Zusatzqualifikation Problemverhalten von KynoLogisch finden Dogmen keinen Platz. Wir richten uns nach den Erkenntnissen der Wissenschaften, wenn es um den Umgang mit Hunden und Menschen geht. Fairness ist für uns kein schwammiger Begriff, sondern ein immer angestrebtes Ziel. Dabei beschreiten wir unterschiedliche Pfade und behalten zuerst Tier und Mensch im Blick, die sich in unsere Beratung begeben. Der steinige Weg ist dann der falsche, wenn der Wandernde ihn nicht gehen kann und der kurze Weg kann der sein, auf dem sich die Wandergemeinschaft die Beine bricht. Alle Wege existieren – die kompetente Führung durch unebenes Terrain übernimmt die Person, die alle diese Aspekte erfasst und dann zum Wohle aller Wandernden handelt.

Für wen sich die Zusatzqualifikation Problemverhalten eignet

Kompetenzen können nur die erlangen, die wissen, was sie tun. Es braucht Offenheit und Reflexionsfähigkeit den großen Begriffen gegenüber, über deren Vor- und Nachteile aufgeklärt werden muss: Bestrafung im Sinne der Lerntheorie, Maulkörbe als Sicherung und Entlastung, gelistete Hunderassen, die Anwendung von Desensibilisierung und ihre Problematik, statusmotivierte Verhaltensweisen bei Hunden, Grenzen setzen, (vermeintliche) erlernte Hilflosigkeit und warum verbotene Hilfsmittel zu recht verboten sind. Wer sich nicht unvoreingenommen mit Begrifflichkeiten, ihren Hintergründen und dem daraus resultierenden Umgang damit befasst, wird sich schwer damit tun, bewusst und reflektiert den richtigen Weg im Training mit einem Hund zu wählen, der – aus einem der vielen genannten und ungenannten Gründe – Problemverhalten zeigt.

Die Zusatzqualifikation Problemverhalten wird eine umfassende, professionelle und wissenschaftlich fundierte Fortbildung für Hundetrainer*innen sein. Wir haben sie konzipiert, weil wir hier bislang eine große Lücke in den Qualifizierungsangeboten für Hundetrainer*innen sehen. 18 Monate werden notwendig sein, um danach kompetent in den verschiedenen Bereichen, in denen Hunde mit Problemverhalten auffällig werden, arbeiten zu können. Wir freuen uns auf euch.

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